Sie werden als Umwelt-Sünder bezeichnet, als Hype, der bald wieder verschwinden dürfte. Andere sehen in ihnen den einzig gangbaren Weg in eine ökologische Verpackungs-Zukunft. Biokunststoffe sind Gegenstand einer von allen Seiten heftig geführten Debatte. Und die Debatte hat ihre Berechtigung: Die Entwicklung des Klimawandels, die Müllmengen, der Zustand der Meere, die Treibhausgasemissionen, die ökologischen Auswirkungen der Kunststoffproduktion – all das macht Druck.
Die Diskussionen über Biokunststoffe leiden nicht zuletzt darunter, dass die Begrifflichkeiten immer wieder durcheinander geraten. Wovon ist also die Rede?
Wovon reden wir, wenn wir von Biokunststoffen reden?
Mit dem Begriff „Biokunststoffe“ werden zwei Arten von Produkten bezeichnet. Einerseits biobasierte Kunststoffe, also Plastik, das aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt wird – etwa aus Pflanzenölen, Stärke oder Cellulose. Andererseits bezeichnet der Begriff die biologisch abbaubaren Kunststoffe.
Anders ausgedrückt: Nicht alle biobasierten Kunststoffe sind auch biologisch abbaubar. Und nicht alle biologisch abbaubaren Kunststoffe basieren auf nachwachsenden Rohstoffen. Und dann gibt es noch eine kleine Fraktion der fossil-basierten Kunststoffe, die sich dennoch biologisch abbauen. Die klare Unterscheidung zwischen den drei Arten ist in Diskussionen aber wichtig, um die Umweltauswirkungen und die Anwendbarkeit dieser Materialien zu verstehen.
“Bei biologisch abbaubaren Stoffen muss man noch berücksichtigen, dass die Umgebungsbedingungen bestimmend sind für die Abbaubarkeit. Handelt es sich um eine trockene Atmosphäre, eine feuchte und warme oder kalte, Süß- oder Salzwassermedium oder um Bedingungen wie in einem großen Deponiehügel unter Abschluss von Sauerstoff. Was unter einer Bedingung gut abbaut, mag unter anderen Bedingungen nicht oder nur sehr langsam degradieren”, so Pacoon-Geschäftsführer Peter Désilets.
Angesichts der Bedeutung der Diskussion für die Umweltverträglichkeit aktueller und künftiger Verpackungsvarianten lohnt es sich, die häufigsten Argumente gegen Biokunststoffe näher zu beleuchten.
Argument #1: Bioplastik nimmt Agrarflächen weg
Zu den am häufigsten vorgebrachten Argumenten zählt die Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion beziehungsweise der Flächenverbrauch. Der oft gehörte Vorwurf: Agrarflächen werden für die Produktion von Biokunststoffen genutzt und das führe so zum Wettbewerb um landwirtschaftliche Flächen und perspektivisch sogar zum Preisanstieg bei Lebensmitteln. Ein Blick auf die Fakten hilft, das Argument zurechtzurücken.
Weltweit gibt es rund 4,8 Milliarden Hektar Agrarfläche. 3,3 Milliarden ha werden als Weideland genutzt, ungefähr 1,25 Milliarden ha als Ackerland für Lebens- und Futtermittel. Immerhin 53 Millionen Hektar dienen der Erzeugung von Biokraftstoffen. Und Biokunststoffe? Im Jahr 2021 wurden gerade einmal 0,7 Millionen Hektar dafür genutzt, 2024 waren es schätzungsweise etwa eine Million Hektar.
Biokunststoffe als Konkurrenz für Lebensmittel? Pacoon-Chef Peter Désilets ordnet das so ein: “Früher kam der wesentliche Anteil der Biokunststoffe aus dem Anbau von Mais oder Zuckerrohr und somit aus dem Agraranbau. Dazu kam noch die Thematik des genmodifizierten Maisanbaus. Inzwischen stammen viele Rohstoffe auch aus anderen Pflanzenquellen oder Anbau- und Produktionsresten. Aber das emotionale Argument ‘kein Food für Verpackungen’ hat sich etabliert, auch wenn es dafür nur geringe Relevanz gibt”.
Und Peter Désilets zieht einen einprägsamen Vergleich: Allein in Deutschland entspricht die Menge der Lebensmittelverschwendung der Produktion auf 2,6 Millionen Hektar hochwertiger Agrarfläche. Das ist ungefähr das Dreifache der weltweiten Agrarfläche für Biokunststoffe. “Bei dem Verbrauch von E10 Benzin im Auto wird nicht gefragt, ob hierfür Agrarflächen genutzt werden, um den Energiegehalt quasi 1:1 direkt zu verbrennen. Interessanter wäre es daher, diese Menge an landwirtschaftlicher Fläche erst für Verpackungen zu nutzen, um diese beim End of Life zu recyceln oder zu verbrennen, um die Energie zu nutzen. Die Fläche für Bioenergie reicht, um alle fossilen Kunststoff-Verpackungen komplett zu ersetzen”.
Argument #2: Für den Kunststoff werden Regenwälder gerodet
Auf den ersten Blick falsch, auf den zweiten Blick ein wenig zutreffend. Biobasierte Kunststoffe werden in erster Linie aus Stärke und Zucker gewonnen, die in Pflanzen wie Mais, Zuckerrohr, Zuckerrüben oder Weizen vorkommen. Pflanzen also, die definitiv nicht in den Tropen wachsen.
Tatsächlich gibt es aber einen sekundären Effekt. Der vermehrte Anbau von Zuckerrohr verdrängt den Soja-Anbau vermehrt in tropische Gebieten. Brasilien ist mit 122 Millionen Tonnen Jahresvolumen – 34,5% der weltweiten Produktion – führend vor den USA. Dass in diesem Zusammenhang auch Regenwald gerodet wurde und weiterhin wird, ist unbestritten. Auch dieser Befund relativiert sich allerdings, wenn man die tatsächlichen Mengen an Zuckerrohr betrachtet, die für Bioplastik verwendet werden: Schätzungen gehen von weniger als 0,1% der weltweiten Zuckerrohr-Anbaufläche aus.
Argument #3: Angesichts der höheren Preise wird sich das nie durchsetzen
Biokunststoffen wird oft vorgeworfen, deutlich teurer zu sein als herkömmliche Kunststoffe. Tatsächlich ist etwa Bio-PE rund 1,2 bis 1,4 mal teurer als PE aus fossiler Produktion. Folien aus Zellophan kosten bis zu viermal mehr als klassische Plastikfolien. Diese Betrachtung erfährt gerade eine Neubewertung unter den verstärkten Forderungen nach Rezyklaten. Für rPET werden seit dem Trend zu mehr PET-Verpackungen deutlich höhere Preise verlangt als für virgin PET. Dieses Rezyklat stammt im Wesentlichen aus den PET-Getränkeflaschen und war zeitweise fast doppelt so teuer wie fossiles PET.
Im Rahmen der PPWR - Packaging and Packaging Waste Regulation - ist die Forderung nach Rezyklateinsatz noch einmal deutlich gestiegen. Steigende Nachfrage bei limitiertem Angebot wird automatisch zu höheren Preisen führen. Für Chemisches Rezyklat wird heute schon von einem 3- bis 5-fachen Preis gegenüber fossilem Virgin Material ausgegangen, weil die Investitionskosten in die Technologie so enorm hoch sind - bei unsicherem Erfolg.
Neben dem Preis haben biobasierte Kunststoffe aber noch eine andere Chance, die übergeordneten Ziele des EU Green Deals zu erreichen: eine klimaneutrale Wirtschaft. Denn fossile Kunststoffe starten sie mit einem hohen CO2-Aufkommen, während biobasierte Kunststoffe als nachwachsende Ressource einen sehr geringen CO2-Ausstoß aufweisen. Außerdem können sie über bekannte Technologien sofort ohne Einschränkung die fossilen Kunststoffe ersetzen. “Während wir über Fördermittel hunderte Millionen Euro in eine ungewisse und energieintensive Technologie für chemisches Recycling investieren, könnten diese Investitionen auch in die Verarbeitung von Bio-Ressourcen für Kunststoffverpackungen gelenkt werden. Mit deutlichem Vorteil für eine klimaneutrale (Volks-)Wirtschaft. Und die Optionen des Recyclings oder der energetischen Rückgewinnung und Nutzung bleiben unbenommen”, fordert Peter Désilets Kostenwahrheit.
Argument #4: Ohne Kompostierung keine echte Kreislaufwirtschaft
Welche Eigenschaften erwarten die Menschen von einer nachhaltigen Verpackung? Der Faktor der Kompostierbarkeit erreicht bei eigenen Umfragen der Nachhaltigkeits-Expert:innen von PACOON regelmäßig überraschend hohe Werte. Rund ein Fünftel bis ein Viertel der Deutschen trennt laut eigenen Angaben den Hausmüll auch für den eigenen Gartenkompost. Der Beitrag zum Kreislauf im eigenen Garten scheint also bedeutungsvoll zu sein.
Eine Erwartungshaltung, die Biokunststoffe nur bedingt erfüllen können. Ein häufiges Missverständnis: „Biologisch abbaubar“ ist nicht gleichbedeutend mit „kompostierbar“, es bedeutet nur den Abbau in der Natur über einen unbestimmten Zeitraum. Manche Materialien sind kompliziert kompostierbar, manche nur in industriellen Kompostieranlagen, und die Biotonne akzeptiert in der Regel nur in einzelnen Ländern Biokunststoffe – Faktoren, die zu einer gewissen Ernüchterung geführt haben. Es müssten ganz neue und langwierigere Rücknahme- und Kompostierungs-Standards aufgebaut werden, um diese Verpackungen in biologischen Kreisläufen zu führen. Dagegen spricht, dass der Kompost keine bessere Qualität aufweist als die heutigen Standards, die in viel kürzeren Zyklen entstehen. Peter Désilets über die Bedeutung der Kompostierbarkeit: “Weil das primäre Ziel ist, die Rohstoffe im Kreislauf zu führen, in die schon viel Energie und Material gesteckt wurde, bietet sich Kompostierbarkeit eher in Ländern und Regionen an, die (noch) keine Recycling-Infrastruktur haben.”
Argument #5: Biokunststoffe sind nicht für das Recycling geeignet
Die Bioplastics, so hört man oft, eignen sich nicht für das Recyceln. Definitiv eine Fehlinformation. „Rein technisch“, sagt Peter Désilets, „ist das Recycling kein Problem. Kunststoffverpackungen wie PE, PET, PP oder PA auf nachwachsender Basis sind genauso recycelbar wie ihre fossilen Pendants. Man spricht von sogenannten Drop-In-Lösungen, die sich identisch zu ihren fossilen Pendants verhalten.“
Peter Désilets plädiert für einen nüchternen Blick auf die Frage der möglichen Verunreinigungen des Rezyklats beim mechanischen Recycling: “Auch bei klassischen biologisch abbaubaren Kunststoffen wird oft behauptet, dass diese das mechanische Recycling stören. Erstens sind dafür die Mengen aber viel zu unbedeutend. Und auch heutige Sortierballen für das Recycling weisen in der Regel durchaus um die 10 % Fremdstoffe auf, die das Rezyklat beeinträchtigen. Außerdem konnten auch die TU Chemnitz und Fraunhofer nachweisen, dass eine Verunreinigung von Polyolefinen (PE und PP) mit zum Beispiel 4 % PLA als derzeit meistproduzierter biologisch abbaubarer Kunststoff zu keiner wesentlichen Beeinträchtigung führt. Die Polyolefin-Rezyklate wiesen anschließend sogar bessere Funktionalitäten auf.”
Argument #6: Korrekte Mülltrennung wird immer schwieriger
Ein nicht ganz von der Hand zu weisendes Argument betrifft die Psychologie der Konsumentinnen und Konsumenten. Die unscharfe Trennung von „biobasiert“ und „biologisch abbaubar“ kann dazu führen, dass manche glauben, man könne Biopolymere in der Umwelt entsorgen, da sie ohnehin rasch und rückstandsfrei zerfallen.
Aber auch jene, die Mülltrennung ernst nehmen, haben Probleme: Je mehr Verpackungsmaterialien auf den Markt kommen, desto schwieriger wird es zu entscheiden, was nun in der Biotonne, im Gelben Sack, auf dem Komposthaufen oder bei der thermischen Verwertung landen wird. Eine Verunsicherung, die nicht geringer wird, wenn sich entsprechende Vorgaben oder Empfehlungen auch noch ändern. Unter dem Strich – so der Vorwurf – schade dies den Recyclingquoten.
Daraus abzuleiten, man solle das Thema Bioplastik generell fallen lassen, ist aber doch verfehlt. Auch der Umgang mit Glas-, Metall- oder herkömmlichen Plastikverpackungen hat sich mehrmals verändert und wurde für die meisten Verbraucher:innen mit der Zeit dennoch zur selbstverständlichen Routine in der Entsorgung. Man darf wohl davon ausgehen – stringente Vorgaben der Politik und gute Information der Öffentlichkeit vorausgesetzt –, dass auch diese Kunststoffe durch die neuen Technologien besser verwertet werden könnten. Dazu bedarf es jedoch deutlich ausgeweiteter Sammel-, Sortier- und Recyclinginfrastruktur. Ob hier die Priorität in der EU liegen wird, bleibt zu bezweifeln.
Welche Chancen haben Biokunststoffe?
Und jetzt? Aus aktueller Sicht erscheint es durchaus realistisch, dass in Zukunft ausreichend Kapazitäten zur Verfügung stehen werden, um biobasierte Rohstoffe, die aus Pflanzen gewonnen werden, zu produzieren. Hinzu kommen noch landwirtschaftliche Abfälle, Haushaltsabfälle und Speiseöle, die ebenfalls als biobasierte Rohstoffe für Verpackungen genutzt werden können.
Die Umstände sprechen durchaus für Biokunststoffe, vor allem auch die bisher sehr hohen Anforderungen an den Reyklateinsatz in Verpackungen. Das Ziel ist, mehr Kunststoff-Rezyklate in Verpackungen zu verwenden, um fossile Rohstoffe zu vermeiden.
Doch eines sollten wir bedenken: Recycling ist nur ein Weg zum Ziel, nicht das Ziel selbst. Das nämlich ist Ressourcenschonung und schließlich Klimaneutralität. Beides ist mit biobasierten Kunststoffen vergleichsweise schnell zu erreichen. Ein sehr einfacher Weg könnte daher sein, dass der Einsatz dieser Rezyklate durch biobasierte Rohstoffe kompensiert werden kann.
Allerdings bedarf es dazu einer gesetzlichen Festlegung, dass eine Substitution von Rezyklaten durch biobasierte Rohstoffe erlaubt ist. Dies könnte einen sehr hohen Nachfragedruck erzeugen, sodass sich die Investition in neue Produktionskapazitäten für biobasierte Kunststoffe lohnen würde.
Dadurch könnte der Preis für Biokunststoffe insgesamt deutlich sinken, was wiederum den Einsatz von fossilen Kunststoffen weiter reduzieren oder in Zukunft sogar überflüssig machen könnte. So wie für den Einsatz von Rezyklaten gefordert wird, diese finanziell zu fördern, könnte diese Förderung auch generell für Biokunststoffverpackungen gelten. Ob sich die EU-Kommission in einigen Jahren dazu entschließen wird, Biokunststoffe als Zukunftsoption für Verpackungen zu definieren und zu fördern, bleibt allerdings abzuwarten.
“Wir sehen schon seit Jahren eine wachsende Bedeutung von Barrierematerialien in Verbindung mit Faserverpackungen oder auch Folien“, sagt Peter Désilets. Weshalb er auch prognostiziert: “Die Zukunftsperspektiven für Biomaterialien sind sehr positiv, wenn die Gesetzgebung nicht vor der fossilen Lobby einknickt. Schließlich wird auch in der Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS) Deutschlands die Option hin zu biobasierten Kunststoffen statt Recyclingtechnolgien in Erwägung gezogen.”