Das Argument klang überzeugend. Zumindest im ersten Moment. Auf der Sustainability in Europe traf Peter Désilets in Barcelona einen Vertreter des weltgrößten Herstellers von Kartoffelchips. Und fragte ihn, warum das Unternehmen eigentlich nicht auf Mehrweg-Verpackungen umstelle – etwa auf stabile Mehrwegboxen mit Wiederverschlussoption. Schließlich könne man so mehr als 30 Prozent an Volumen einsparen. Die Antwort: Folien ließen sich nun einmal viel besser lagern, während für Mehrwegbehälter ganze Silos bereitstehen müssten.
„Im ersten Moment dachte ich: ‚Da hat er schon einen Punkt‘“, erzählt der Geschäftsführer von Pacoon, „aber mein zweiter Gedanke war: ‚Wenn die Tüten abgepackt sind, dann transportiert er diese 30 Prozent Luft bis ins Regal des Retailers.‘“ Und das bedeutet auch: 30 Prozent mehr Platzbedarf im Warenlager, beim Transport und im Regal. 30 Prozent weniger Platz für die Bevorratung und damit erhöhte Gefahr eines Out-of-Stock. 30 Prozent mehr Handling-Bedarf für die Mitarbeiter:innen im Lager und am POS. Nicht besonders umweltfreundlich oder ökonomisch.
Und schon fand Peter Désilets das Argument nicht mehr ganz so überzeugend.
Warum Mehrwegverpackungen nicht teurer als Einwegverpackungen sind
Mehrweg oder Einweg? Die Debatten um die „richtige“ Art der Verpackung und den nachgelagerten Prozess werden manchmal durchaus emotional geführt. Und nicht immer kommen dabei alle Fakten zu ihrem Recht. Vor allem dann, wenn es um die Gesamtkosten geht.
Peter Désilets und sein Team haben die Kosten für den Chips-Hersteller überschlagen. „Wir schätzten die Entsorgungsgebühren für die Beutel und den Umkarton, das CO2-Aufkommen des Transports und die Materialkosten für Karton und Folien und verglichen sie mit der Mehrweg-Alternative: Addiert man die Mietkosten für Mehrwegbehälter und Mehrweg-Kisten statt der Umkartons mit den Kosten für Reinigung und Rückführung, so kommt man auf ziemlich genau das gleiche Kostenniveau.“
Und dabei, betont Désilets, seien weder der Imagegewinn noch die Handling- und Lagerkostenvorteile der Supply Chain und des Handels oder gar die Convenience-Vorteile für die Konsument:innen berücksichtigt. “Wir konnten natürlich nur Annahmen treffen, was der Karton oder die Beutel im Einweg kosten, aber auch bei den Reinigungs- und Sortierkosten sind wir eher großzügig heran gegangen. Es bleibt also durchaus noch Puffer für Optimierungen beim Handling der Mehrwegsystems”, so Désilets.
PPWR und neue Steuern pushen Mehrweg
In der Berechnung von Pacoon waren einige weitere Kostentreiber noch gar nicht berücksichtigt:
Mit der Packaging and Packaging Waste Regulation will die Europäische Kommission den Abfall minimieren und mehr Verpackungsmaterial dem Recyceln zuführen. Die PPWR bringt auch Quoten für den Rezyklat-Einsatz. Die Europäische Kommission räumt den Mitgliedsstaaten bei der Festsetzung der Quoten kleine Freiheiten beim zeitlichen Horizont ein. Doch die Richtung ist klar, und wie sehr dadurch die Kosten etwa für Beutelfolien steigen werden, ist noch völlig offen.
Hinzu kommen Mehrkosten durch Steuern wie die Single Use Plastic Directive, die nun auch in Deutschland und anderen EU-Ländern auf die Inverkehrbringer umgelegt werden soll. Auch nationale Steuern auf Verpackung spielen hier eine Rolle: So etwa das Einwegkunststofffondsgesetz, das das Ziel verfolgt, die Kosten des Öffentlichen Raumes für Abfallbeseitigung auszugleichen. Peter Désilets hält infolgedessen insgesamt eine Verdreifachung gegenüber den heutigen Gebühren des Dualen Systems für realistisch. “Bei den Einwegbeuteln wird mit der PPWR der Druck erhöht, neue Lösungen zu finden. Durch die geforderten Recycling- und insbesondere die Rezyklateinsatz-Quoten für Einweg werden die Kosten aber sicherlich um 30 % und mehr steigen. Dazu kommen noch Gebühren, die damals noch gar nicht feststanden, wie für die Deforestation-Zertifikate für den Umkarton. Auf einmal sieht die Kalkulation dann noch deutlich positiver für Mehrweg aus”, meint Peter Désilets.
Nachhaltigkeit geht anders: Die langen Wege der Einweg-Verpackungen
Doch selbst eine Einwegverpackung, die gut recycelbar ist, kommt im Kostenvergleich mit Mehrweg nicht besser weg. Peter Désilets bestreitet vor allem das oft gebrachte Argument der längeren Transportwege für Mehrweg: „Sofern Einwegkunststoffe nicht sofort verbrannt werden, sind die die Transportdistanzen oft nicht kürzer als bei Mehrweg. Auch beim Recycling summiert sich die Transportkette auf enorme Distanzen. Allein der Weg von den Sammelcontainern zu den großen Sortierern beträgt manchmal bis zu 300 Kilometer, und die sortierten Ballen können zu den Recyclern nochmal ein paar hundert Kilometer unterwegs sein.“
Es folgen die Transporte zum Folienhersteller oder Spritzgießer, zum Converter oder zum Abfüller oder Abpacker. „Zumindest im Rahmen der beiden ersten Transportschritte wird auch viel Luft transportiert. Vor dem Recycling sollte also ReUse stehen. Je häufiger Mehrweg eingesetzt wird, desto mehr zahlt es sich hinsichtlich CO2-Bilanz und Kosten aus.“
Für Mehrwegsysteme sprechen also nicht nur der Druck seitens der PPWR, sondern auch betriebswirtschaftliche Fakten, betont Peter Désilets. „Unternehmen sollten daher rechtzeitig planen und Erfahrungswerte sammeln, um nicht später aus der Not reagieren zu müssen.“ Und dabei geht es um viel mehr als um eine Umstellung der Behältnisse: Maschinenprozesse, Lagerung, Transport und Umlauf auch von leeren Behältern müssen im Zuge der Umstellung auf neue Verpackungslösungen geprüft werden.
Einweg bedeutet nicht automatisch Verpackung aus Kunststoff
Mehrweg-Verpackungen gewinnen durchaus an Terrain. Vor allem im HoReCa- und To-go-Bereich, aber – auch getrieben von der PPWR – auch zunehmend bei Transportverpackungen. Seit dem 1. Januar 2023 gilt in Deutschland zum Beispiel die Mehrwegangebotspflicht.
Gastronomiebetrieben, die Speisen und Getränke zur Mitnahme anbieten, müssen alternativ zu Einweg- auch Mehrwegverpackungen anbieten. Mehrweg also gut – und Einweg böse?
So einfach ist es leider auch nicht. Zumindest, solange die Rücknahme-Infrastruktur den Hoffnungen noch hinterherhinkt, werden Einwegverpackungen nicht völlig verschwinden. Eine Lösung liegt auf der Hand: umweltverträgliche Einwegverpackungen. Darauf hat sich etwa PureGreen in Ludwigshafen spezialisiert, ein Unternehmen, das To-go-Behälter und andere Verpackungen für Speisen und Getränke auf der Basis alternativer Materialien herstellt und das von Pacoon seit 2020 betreut wird. Im Sortiment sind unter anderem Kaffeebecher aus nachwachsendem Zuckerrohr-Fasermaterial, die für Heißgetränke bis zu 100 °C oder Kaltgetränke geeignet sind und danach im Altpapier recycelt oder bei Bedarf auch kompostiert werden können. Die einseitige PLA-Barriere macht unter 5 % Materialanteil aus. Somit fallen viele Gebühren viel geringer aus, was wiederum für Preisvorteile von über einem 1 Cent pro Becher sorgt.
Nachhaltig: Ein umfassendes System für Mehrwegverpackung
Zugleich sind auch im Mehrweg-Bereich noch Fragen zu klären. Vor allem, wenn man statt einzelner Produkte komplette Systeme im Auge hat. Pacoon hat schon 2020 mit „CYRCOL“ ein Konzept für eine nachhaltige Verpackungslösung entwickelt, das die wesentlichen Komponenten integriert: Nachhaltigkeit durch Mehrweg, maximale Convenience für die Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse des Handels.
CYRCOL setzt auf Product-as-a-Service anstelle proprietärer Systeme, auf Mietkonzepte, auf unabhängige Reinigungsstationen und auf ein optimiertes Rückholsystem. So entsteht ein System, das für die Konsument:innen sehr bequem ist, aber gleichzeitig gut in die Kreislaufwirtschafts-Systeme der Retailer intergiert werden kann. Ein System für nachhaltige Verpackungen, das grundlegend modular aufgebaut ist und damit jederzeit flexibel auf den Markt reagieren kann.
Ein wesentlicher Aspekt ist dabei die Entkoppelung der Mehrwegbehälter vom Eigentum und von der Marke: Im Zuge der Reinigung ist auch eine Neutralisierung vorgesehen – hier kann man also ein neues Branding auftragen und die Behälter müssen nicht zum Markeninhaber zurückgebracht werden. Die Auswirkungen auf Sortier- und Transportaufwand liegen auf der Hand.
“Wir haben die letzten Jahre mit Markenartiklern an den Dimensionen eines Glasbehälters gearbeitet und uns nun auf ein Maß festgelegt. Das kann dazu dienen, eine Vielzahl von Produkten abfüllen, von Saucen über Marmeladen, Aufstrichen, Honig, Konserven und Trockenprodukten. Als Nächstes wollen wir eine kleine Serie produzieren lassen, diese auch mit Chemischer Härtung versehen, um zu schauen, wie viel Gewicht wir im Glas selbst wir sparen können gegenüber klassischen Mehrwegbehältern. Wir rechnen mit 30-50 % Glaseinsparung - und natürlich Gewichtseinsparung.” so Peter Désilets. Mit diesen Mustern will Pacoon dann Hersteller ansprechen und für einen Markttest werben, bei dem sich möglichst viele Produzenten die Kosten teilen und Erfahrungen sammeln. Das Konzept für den Markttest hat der Nachhaltigkeits-Experte schon mit Partnern ausgearbeitet. Je nach Anzahl könnte so jedes Unternehmen mit ca. 10.000 bis 15.000 Euro wichtige Erkenntnisse sammeln, wie sich ein solches System in der Produktion umsetzen ließe.
Parallel arbeitet Pacoon mit einem Kastenhersteller an einem neuen Kistendesign, das im Leertransport bis zu 40 % Platz einspart und sehr flexibel im Einsatz ist. Denn die Mehrwegkisten nehmen in der Regel genauso viel Platz weg, wenn sie befüllt sind oder als Leergut transportiert werden. Und auch den Deckel wollen die Nachhaltigkeits-Berater nicht als Einwegdeckel hinnehmen. Mit einem Partner soll hier ein Mehrwegdeckel-Konzept entwickelt werden. Die Ansätze dazu wurden schon diskutiert und die Materialoptionen ausgelotet.
Ab 2027 will der Handel auch neue Codes in seinem Kassensystem einführen, die auch eine serielle Rückverfolgung der Verpackungselemente ermöglicht. Bis dahin will Pacoon das System weiter entwickeln und dem Markt zur Verfügung stellen. “Unser Ziel ist, dass der Einsatz unseres Mehrwegsystems am Ende nicht mehr kostet als die Einwegvariante, vielleicht sogar weniger. Ökologisch würde der Hersteller sowieso gewinnen. Denn erfahrungsgemäß ist der CO2-Fußabdruck ab dem 5. bis 10. Umlauf bei Mehrweg besser - für Schnelldreher also beste Voraussetzungen.” so Peter Désilets.