Im Mai 2022 schaffte es ein deutscher Komposthaufen in die internationalen Medien. Forscher:innen der Uni Leipzig hatten auf einem Friedhof ein Enzym mit bemerkenswerten Eigenschaften gefunden: PHL7 zersetzt Polyethylenterephthalat – vulgo PET – in absoluter Rekordzeit. Eine gängige Kunststoffschale für Lebensmittel, wie sie in Supermärkten hundertfach im Einsatz ist, wird von PHL7 nach nicht einmal 24 Stunden komplett in seine beiden Bestandteile zersetzt, die wiederum zu neuem PET polymerisiert werden können.
PHL7 ist nicht nur doppelt so schnell wie der bisherige Rekordhalter. Es benötigt außerdem für die Reaktion nur Temperaturen von 65 bis 70 Grad Celsius. Und das ist wesentlich weniger als der Energiebedarf thermischer Verfahren, bei denen man Plastikmüll einschmilzt. Mit anderen Worten: Das Enzym aus dem Komposthaufen „eignet sich für eine Anwendung in einem umweltfreundlichen Recyclingverfahren, bei dem aus den Abbauprodukten wieder neues Plastik hergestellt werden kann“, hieß es in der damaligen Pressemeldung.
Eine Entwicklung, die – falls sie sich als skalierbar herausstellt – ein Fenster in eine neue Ära des Kunststoffrecyclings aufstoßen könnte.
Die PPWR: Recycling von Kunststoff als wesentlicher Schritt in Richtung Kreislaufwirtschaft
Und die Zeit drängt. Nicht nur, weil die Umweltfolgen von Kunststoff immer sichtbarer werden – siehe etwa die erschreckenden Erkenntnisse zu Mikroplastik –, sondern auch wegen der PPWR. Wenn die europäische Verpackungsverordnung 2026 in Kraft tritt, liegt ein Fokus auf dem Recycling von Kunststoffverpackungen. Und sie nennt ebenso klar die Recyclingziele, die dabei zu erreichen sind. “Wir haben hier zwei Player, die gefragt sind: die Mitgliedsstaaten, die eine funktionierende Infrastruktur aufbauen müssen ‘at scale’ - also nicht nur theoretisches Recycling, wie es heute vielfach nur auf dem Papier existiert. Und die Inverkehrbringer, die dann Packungen verwenden müssen, die auch recyclingfähig sind. Was passiert, wenn der Mitgliedstaat das Ziel nicht schafft, ist nicht definiert. Aber wenn der Inverkehrbringer die Recyclingfähigkeit nicht schafft, darf das Produkt nicht vermarktet werden. Unsere Erfahrung zeigt aber, dass sich die Inverkehrbringer noch nicht allzu intensiv mit dem Thema befasst haben”, meint Pacoon-Geschäftsführer Peter Désilets.
Wiederverwertung ist neben der Vermeidung von unnötiger Verpackung die zweite Stoßrichtung der Packaging and Packaging Waste Regulation PPWR auf dem Weg zu einer europaweiten Kreislaufwirtschaft. Dass Kunststoffe dabei im Zentrum stehen, ist logisch, denn während Kartonagen, Metalle oder Glas bereits hohe Recyclingquoten erreichen, und der Wiedereinsatz von Rezyklat hoch ist, sieht es bei den Verpackungen aus Kunststoffen ziemlich düster aus: Sie liegen faktisch im einstelligen bis maximal knapp zweistelligen Prozentbereich bei den Recyclingmengen und davon wird nur ein Teil auch als Rezyklat wieder verwendet - allerdings nicht unbedingt in Verpackungen, wenn man von den PET-Flaschen absieht.. Das gilt auch für Länder wie Deutschland, dessen entsprechende Recycling-Infrastruktur im Vergleich sehr gut ist.
Doch die Europäische Kommission will Fakten sehen: Die zu erreichenden Rezyklat-Einsatzquoten sind keine theoretischen Zahlen auf Basis der Sortierung – es geht um die tatsächlichen Anteile von Rezyklat in Kunststoffverpackungen.
Ziele, die derzeit in weiter Ferne liegen und für die es neue Ansätze bedarf.
Peter Désilets gibt zu: “Die Quoten sind sportlich, insbesondere weil auch die Herkunft der Rezyklate definiert wird. Es muss sich um PCR - Post Consumer Rezyklat handeln, also Rezyklat aus Verpackungen, die schon mal verwendet wurden. Und wenn es um Lebensmittel, Kosmetika oder Baby- und Tiernahrung oder gar Pharmazeutika geht, liegt die Qualitätsanforderung sehr hoch, quasi auf Virgin Material Niveau. Momentan herrscht daher noch großes Rätselraten, wie das geschafft werden soll. Mit unserer heute geläufigen mechanischen Recyclingtechnologie wird das schwer zu erreichen sein.”
Hausmüll verdirbt den Spaß
So naheliegend die Idee ist, Kunststoffverpackungen so aufzubereiten, dass sie zu neuen Verpackungen werden können, so vielfältig sind die Restriktionen. Die sind klarerweise beim Post-Consumer-Rezyklat, das aus dem Verpackungsmüll gewonnen wird, am stärksten: Der Kunststoff fällt an vielen kleinen Sammelstellen an, unterschiedlichste Plastik-Sorten treten gemischt auf, und sie sind zudem fast immer verschmutzt.
Das mechanische Kunststoff-Recycling: Eine Methode gerät an ihre Grenzen
Die etablierte Technologie für die Wiederaufbereitung von Kunststoffen ist das mechanische (oder werkstoffliche) Recycling. Beim mechanischen Recycling werden Kunststoffabfälle eingeschmolzen und zu Granulat verarbeitet, das wiederum als Sekundärrohstoff in Verpackungen oder anderen Produkten Verwendung findet. Das funktioniert prinzipiell gut, stößt in der Praxis aber auf Hindernisse.
Denn das angelieferte Material muss beim werkstofflichen Recycling sortenrein und möglichst frei von Verschmutzung oder Fremdstoffen sein. Je weniger beides der Fall ist, desto vielversprechender können die Trenn- und Reinigungsprozesse für ein qualitativ hochwertiges Rezyklat sorgen. Auf dem Weg durch diese Recyclingprozesse gibt es, so Peter Désilets, allerdings viele Möglichkeiten, sich zu verirren: “Mehrere Parameter können die Rezyklatmenge und -qualität erheblich beeinträchtigen. Das fängt bei falschen Materialkombinationen an wie Polyolefine mit Polyestern, die sich nicht trennen, aufgeschäumte Polyester, die im Schwimm-Sink-Verfahren leichtere Polyolefine ‘vortäuschen’ und das Rezyklat verunreinigen, falsche Farben, die im Extruder ausgasen und zu grauen und riechenden Rezyklaten führen, Additive und Kleber, um die Funktionen zu erhöhen, die sich nicht trennen lassen. Je schlechter die Rezyklatqualität, desto schwieriger lassen sich hochwertige Kunststoffanwendungen damit schaffen".
Sortenreinheit: Garbage in, Garbage out
Sortenreinheit ist im Recycling ohnehin ein Dauerthema. Auswertungen der Sammelstellen zeigen regelmäßig, dass der Anteil an Fehlwürfen erschreckend hoch ist. Das liegt einerseits wohl am Desinteresse mancher Verbraucher:innen – aber gleichzeitig ist die Qualität der entsprechenden Information auf den Verpackungen definitiv ausbaufähig. Mehrfach wechselnde Vorgaben, welche Art von Verpackung wie gesammelt werden soll, tragen ebenso wenig zur Klarheit bei. “Die EU möchte auch mit der PPWR die Trenn- und Sortierhinweise stärken und vereinheitlichen, in Ländern wie Frankreich und Italien wurden schon konkrete Hinweise eingeführt. Auch in Deutschland hat die Initiative ‘Mülltrennung wirkt’ Vorschläge zur Vereinheitlichung der Hinweise vor drei Jahren unterbreitet. Allerdings noch mit wenig Umsetzung. Selbst digitale Informationen und Videoanleitungen wurden integriert. Auf jeden Fall sollten die Hersteller die Hinweise im Packungsdesign integrieren, denn ca. ein Drittel der deutschen Privathaushalte sammeln überhaupt nicht”, sagt Peter Désilets.
Mischungen verschiedener Kunststoffe oder mit verschiedenen Additiven und Barrieren können daher selten hochwertige Rezyklate ergeben. Das ist auch der Grund, warum Verbundverpackungen nahezu immer der thermischen Verwertung zugeführt werden – wie Verbrennen so schön genannt wird – weil dann die Energie gewonnen wird.
Reinheit: Der Kampf um hochwertige Kunststoffabfälle
Eine weitere Hürde vor dem Zurückgewinnen der Polymere ist die Anforderung an die Sauberkeit. Groben Schmutz industriell zu entfernen, ist nicht das große Problem. Doch bei Rezyklat, das später etwa Lebensmittel, Tiernahrung oder Kosmetika verpacken soll, sind die Vorgaben sehr hoch – das Material darf weder Geschmack noch Geruch beeinträchtigen, von gesundheitsschädlichen Anhaftungen ganz zu schweigen.
PET-Getränkeflaschen sind dafür im Grunde ideal. Sie liefern hochwertiges Rezyklat, das aufgrund seiner früheren Verwendung auch lebensmittelsicher ist. Weil es quasi das einzige PET ist, das recycelt wird, führt dazu, dass auch andere Branchen an dem Material sehr interessiert sind. Das wertvolle PET-Rezyklat wird immer öfter dem Kreislauf entzogen, in Textilien, Autositzen, Folien und Verpackungen jenseits der Getränkeflaschen eingesetzt und der Getränkebereich muss in der Regel dann auf fossile Rohstoffe zurückgreifen. “Wir versuchen seit Jahren die Branche aufzuklären, dass dies im Grunde Greenwashing ist und schädlich. So langsam hören wir auch häufiger, dass dies nicht der richtige Weg ist. Es ist zwar schön, ‘Rezyklateinsatz’ auszuloben, theoretisch müsste es dann aber heißen ‘Polyester-Rezyklat, das dem Flaschenkreislauf entnommen wurde und wofür neue fossile Rohstoffe zum Einsatz kommen müssen’. Aber das klingt natürlich sehr unschön. Daher drängen die Organisationen darauf, dass auch die anderen Branchen wie Textilindustrie oder Automobilindustrie ihre eigenen Polyester-Kreisläufe schließen und sich nicht ‘fremden Kreisläufen bedienen’”, sagt Désilets.
Klassisches Recyceln mit neuen Technologien
hier Neues, vor allem bei der Sortierung. In den vergangenen Jahren entstanden spannende Automatisierungs-Technologien, und immer stärker wird Künstliche Intelligenz zu einem Faktor, wenn es darum geht, die einzelnen Fraktionen besser zu identifizieren und sauberer zu trennen.
“Im mechanischen Recycling sind die Technologien ziemlich ausgereizt, hier geht es im Wesentlichen um Finetuning. Eine feinere Sortierung von unterschiedlichen Packungen könnte auch zu besseren Rezyklaten führen, aber das verteuert den Sortierprozess deutlich. Auch Kleinvieh macht in dem Fall viel Mist: bessere Farben, die beim Extrudieren nicht ausgasen, würden viel besseres Rezyklat schaffen. Aber die Farben sind teurer und die Anwendung weniger flexibel. Daher nutzt die Branche in der Regel Nitrocellulose-Farben, die rußen und das Rezyklat grau färben. Auch Additive können solche unerwünschten Effekte haben. Monomaterialien ohne viele Fremdstoffe führen auch zu reineren Rezyklaten. Es gibt viele Stellschrauben, häufig fehlt aber das Wissen in der Branche”, gibt Désilets zu bedenken.
Angesichts der hohen Vorgaben seitens der PPWR ist dennoch unwahrscheinlich, dass technologische Entwicklungen oder weitere Optimierungen der Sammel-Infrastruktur ausreichen werden. Womit sich der Blick auf andere Recyclingtechnologien wie das chemische Recycling richtet.
Das chemische Recycling: Neue Produkte mit Footprint
Beim chemischen Recycling von Plastik (oder rohstoflichem Recycling) kommt es zur Depolymerisation der Kunststoffe in ihre einzelnen Bestandteile – in andere Polymere oder in Monomere. Die unterschiedlichen Methoden verändern also die chemische Struktur der Ausgangsstoffe. Aus den Produkten kann man wieder verschiedenste neue Kunststoffe erzeugen, deren Qualität jener der Ausgangsmaterialien entspricht.
Als die verschiedenen Methoden des chemischen Recyclings aufkamen (durchgesetzt hat sich vor allem die Pyrolyse), weckten sie große Hoffnungen. Mittlerweile werden sie oft kritischer gesehen. Vor allem der hohe Energieaufwand beim Recyclingprozess fällt auf, die Verfahren hinterlassen einen beachtlichen CO2-Footprint. Hinzu kommt, dass nur zwischen 20 und 50 Prozent an Materialoutput erzielt wird – der Rest ist Ausschuss. Und nicht zuletzt sind die Verfahren noch nicht allzu hoch skalierbar.
Die Befürworter des mechanischen Recyclings kritisieren einen weiteren Punkt. Chemisches Recycling fischt im gleichen Teich: Es steht in direkter Konkurrenz um die wertvollen Kunststoffe wie Polyolefine, erreicht aber einen deutlich geringeren Output zu höheren Kosten.
Eine andere Methode ist die ‘Verölung’, die bei deutlich niedrigeren Temperaturen arbeitet und derzeit erprobt wird. Theoretisch können auch verschmutzte Kunststoffe dafür eingesetzt werden, aber die Entwicklung arbeitet aktuell noch mit Post Industrial Abfällen, die rein und klar definiert sind.
“Die Hoffnung der Branche ist, dass bis zu den Rezyklateinsatzquoten der PPWR ab 2030 diese Verfahren saubere Rezyklate bereitstellen. Jedoch ist fraglich, ob die Verfahren bis dahin industriell skaliert sind, ob sich Investoren finden, die Verfahren zu entwickeln und ob die Mengen ausreichen, um alle Quoten zu erfüllen. Ob diese Hoffnungen in Erfüllungen gehen, ist fraglich, zumal die Rezyklate sicherlich deutlich teurer sein werden. Und schon heute will die Branche den Mehrpreis für mechanische Rezyklate nicht bezahlen. Statt alternativen Verpackungskonzepte zu entwickeln, hofft die Branche weitestgehend auf ein Wunder”, so Désilets.
Das enzymatische Recycling: Kunststoffe recyceln mit Funden aus der Mülldeponie
Enzyme sind Bio-Katalysatoren, in den meisten Fällen Proteine, die spezifische chemische Reaktionen auslösen. Das Besondere daran: Katalysatoren verlassen die Reaktion unverändert, werden also nicht verbraucht. Eigenschaften, die man auch für das Kunststoffrecycling einsetzen kann.
Während das enzymatische Recycling (oder Biorecycling) im Falle des erwähnten PHL7 noch in der Phase des Prototyping ist, gibt es auch schon konkretere Umsetzungen. Zu den großen Playern auf diesem Gebiet gehört das französische Unternehmen Carbios.
Die Forscher:innen der Biotech-Firma durchwühlten Mülldeponien und Abfall auf der Suche nach Bakterien, die Kunststoffe abbauen. Und sie wurden fündig. Sie entdeckten einen geeigneten Kandidaten und mutierten das Enzym gezielt. Das Ergebnis: bakterielle Enzyme, die PET-Verpackungen mit hoher Geschwindigkeit in ihre Monomere zerlegen. Was unter anderem bedeutet, dass verschiedenfarbige Stoffe in den Kunststoffabfällen zu Sekundärrohstoffen werden, die zu farblosem PET umgewandelt werden können.
Carbios kooperiert mit namhaften Markenartiklern und verfolgt das Ziel, bis 2025 eine entsprechende Anlage in Betrieb zu nehmen, die zigtausende Tonnen an PET-Material verarbeiten können soll. Wie nachhaltig der Ansatz ist, wird unter anderem vom Faktor der Skalierbarkeit abhängen.
“Das Verfahren hat viele Vorteile gegenüber dem chemischen Recycling, es ist günstiger, hat laut heutigem Stand nicht die toxischen Nebenprodukte und verbraucht viel weniger Energie. Außerdem ist die Entwicklung schon weiter vorangeschritten als die Pyrolyse. Allerdings lassen sich Enzyme nicht so einfach hochskalieren und verhalten sich im Reagenzglas anders als im Schwimmbecken. Das Verfahren birgt aber großes Potenzial”, hofft Peter Désilets.
Es bleibt also weiter spannend, wie sich das Recycling entwickelt und ob die erhofften Rezyklatmengen bis 2030 zur Verfügung stehen werden. Auch über KI soll erruiert werden, wie die Rezyklate aus Mechanischen Recycling besser genutzt werden können. Ein aktuelles Forschungsprojekt ist KIOptiPack, in dem 40 Unternehmen und Institute involviert sind, dem besseren Rezyklat und der Akzeptanz beim Verbraucher auf die Schliche zu kommen. Bis Juli 2025 läuft das Projekt noch und das Konsortium ist gespannt, ob der Durchbruch geschafft wird. Parallel dazu bieten sich aber schon Lösungen abseits der Kunststofflösungen oder mit optimierten Mischungen, die die PPWR-Anforderungen erfüllen.
Désilets: “Unser Credo zur PPWR-Konformität lautet daher: es reicht nicht aus, nur das Material wieder zu verwenden und Rezyklate einzusetzen, sondern es müssen neuen Lösungswege angedacht werden. Rethinking statt nur Verschönern!”