Selbstbewusst sind sie, die deutschen Konsument:innen. Zumindest, was die Themen Mülltrennung und Recycling angeht. In einer Umfrage gaben kürzlich 72% der Befragten an, ihr Verhalten bei der Mülltrennung sei „gut“. 23% geben sich selbst sogar ein „Sehr gut“. Und 63% behaupten, sie befolgten die entsprechenden Vorgaben „streng“.
Möglich, dass sich da einige überschätzen. Zur gleichen Zeit erschien eine weitere Studie, die auf Diskussionsrunden basierte, weshalb die Teilnehmer:innen ausführlich über ihre Gewohnheiten bei der Mülltrennung sprechen konnten. Und hier ergibt sich ein anderes Bild: Die Verbraucher:innen haben offensichtlich ernste Probleme mit der Entsorgung von Verbundmaterialien, vor allem, dass sie die unterschiedlichen Fraktionen oft nicht identifizieren können. Ein Klassiker: der Joghurtbecher mit seiner Mischung aus Kunststoff, Papier und Aluminium. Auch, inwieweit Plastikverpackungen vor der Entsorgung gereinigt werden müssen, wissen viele nicht. Hinzu kommt, dass die separate Sammlung daheim viele vor ein Platzproblem stellt. Das Mülltrennsystem für die Küche passt in viele Wohnungen einfach nicht.
Die Folgen zeigen sich bei der Entleerung der Restmülltonnen. Laut dem Umweltbundesamt finden sich darin rund 40% Bioabfälle und mehr als 25% Papier, Kunststoffe, Elektroschrott oder Glas. Auch die Zahl der Fehlwürfe in die speziellen Sammeltonnen ist erheblich. Und so landen viele Tonnen Verpackungsabfälle und anderes potenziell recycelbares Material nicht dort, wo sie laut Verpackungsgesetz landen sollten. Mülltrennung wirkt nur, wenn sie auch korrekt erfolgt.
‘Vor allem ist ein Fehlwurf schon mal ein Verlust von recyclingfähigen Rohstoffen. Papier im Restmüll wird nicht sortiert und recycelt. Auch Papier im Gelben Sack wird ggf. unter bestimmten Voraussetzungen getrennt von anderen Leichtverpackungen, aber in der Regel ist dieses Material für Papierrecycler aufgrund der Kontamination wenig interessant von Fehlwürfen. Aber auch Bioabfälle im Restmüll enden nicht als Biomasse im Garten oder auf dem Acker, sondern in der Müllverbrennung. Und dort bieten sie wenig Brennwert und stören nur”, so Pacoon-Geschäftsführer Peter Désilets.
Ohne Mülltrennung kein Recycling
Das hehre Ziel lautet Kreislaufwirtschaft. Die Mühen der Ebene beginnen allerdings lange davor: Denn vor dem Recyclingprozess steht die Mülltrennung. Werden die einzelnen Wertstoffe nicht getrennt, separat in der jeweiligen Wertstofftonne gesammelt und so dem Recycling zugeführt, hat das massive Qualitätsprobleme beim Rezyklat zur Folge, was wiederum zu hohen Kosten führt und das Ziel einer echten Kreislaufwirtschaft in weitere Ferne rückt.
Altglas, Biomüll, Kunststoff: Bessere Information dringend gesucht
Höhere Recyclingquoten sind – neben der Reduktion von Verpackungsabfällen – ein zentrales Ziel der EU-Verpackungsverordnung (Packaging & Packaging Waste Regulation, PPWR). Die PPWR richtet sich an Unternehmen, erwähnt aber kurz auch das Verhalten der Konsument:innen. Durch eine harmonisierte Verpackungskennzeichnung für die Sortierung durch die Verbraucher:innen solle auch die Abfalltrennung verbessert werden.
Eine gute Idee, wie auch die erwähnte Studie zur Mülltrennung bestätigt. Um das entsprechende Verhalten zu verbessern, empfehlen die Autor:innen neben finanziellen Anreizen vor allem eines: eine deutlich verbesserte Information für die Konsument:innen.
“In Deutschland ist die Informationspflicht über das Duale System klar geregelt: die Kommunen sind dafür verantwortlich, die Haushalte zu informieren. Dafür erhalten sie Nebenentgelte aus den Einnahmen der Entsorgungsgebühren des Dualen Systems von ca. 20 Millionen Euro pro Jahr. Das wären rund 50 Cent pro Haushalt bei etwa 41 Millionen Haushalten im Jahr 2023. Jedoch werden diese Gelder gern für kommunale Ausgaben verwendet. Dabei würde das Geld problemlos ausreichen, einen informativen Flyer zu produzieren und mit der jährlichen Rechnung an Haushalte zu verschicken”, meint Désilets.
Bevor man Systeme harmonisieren kann, muss die Benchmark ermittelt sein. Ein Blick auf die europäischen Staaten zeigt, dass die nationalen Ansätze zur Müllentsorgung erstaunlich unterschiedlich sind. Es lohnt sich, sie näher zu betrachten.
Gutes Abfalltrennsystem zeichnet die Spitzenreiter aus
Bei allem Verbesserungsbedarf: Deutschland liegt im europäischen Vergleich mit seinem dualen System beim Recycling an der Spitze. Auf der Basis eines relativ gut differenzierten Trennsystems mit verschiedenfarbigen Tonnen für Restmüll, Verpackungen, Papier, Biomüll und Glas erreicht Recycling in Deutschland je nach Berechnungssystem Quoten für Siedlungsabfälle zwischen 65% und 71%.
Auch die Nachbarn in Österreich liegen weit vorne. Mit rund 62% für Siedlungsabfälle und rund 64% bei den Verpackungen liegt die Alpenrepublik bereits im in der PPWR vorgesehenen Zielkorridor. Bis 2025 müssen demnach 65% aller Verpackungsabfälle recycelt werden, und bis 2030 soll dieser Anteil auf 70% steigen. Die EU verfolgt außerdem das Ziel, dass bis 2025 mindestens 55% der Siedlungsabfälle recycelt werden sollen, bis 2030 sollen es 60% sein. Österreich hat auf der Basis seiner Verpackungsverordnung ein ähnliches System wie Deutschland (nur dass Plastikverpackungen hier im Gelben Sack oder der gelben Tonne landen).
“Besucht man einen Sortierer, der die gesammelten Abfälle aus dem Gelben Sack oder der Gelben Tonne abholt und dann nach Materialfraktionen sortiert, bevor sie ins Recycling gehen, sehe ich einige wichtige Themen, die es zu verbessern gibt: erstens, die Information der Haushalte. Es wird noch zu wenig gesammelt, teilweise wird auch falsch getrennt, weil die Informationen fehlen”, so Désilets. Aber das ist nicht der einzige Grund: “Zweitens, es gibt seit langem Erfahrungen, die zeigen, dass bei einer Abholung am Haushalt die Sammelquote deutlich höher liegt als bei Bringsystemen - das Sammeln muss einfach sein. Drittens sollten Belohnungssysteme für Sammeln initiiert werden”. In einigen Orten würde das Belohnungszentrum schon aktiviert: “Da gibt es schon schöne Beispiele. In manchen Orten kann die Abholung des Restmülls zeitlich gestaffelt werden, von wöchentlich bis monatlich. Wer also seine Verpackungen in den ‘Gelben Sack’ gibt, kann so seine Restmülltonne entlasten und benötigt weniger Abholungen - was eine geringere Müllgebühr zur Folge hat. Oder in der Schweiz werden Müllsäcke gekauft. Je mehr Müll ich dort rein fülle, desto billiger wird mein Restmüll. Das hat geholfen, eine freiwillige - nicht bepfandete - PET-Flaschensammlung einzuführen. Denn die nehmen dann keinen Platz im Müllsack weg.”
Zu den Musterschülern gehören außerdem Belgien, die Niederlande, Slowenien und das Nicht-EU-Land Schweiz. Grundlegend zeigt sich: Je differenzierter ein Trennsystem und eine gute Infrastruktur für die getrennte Sammlung sind, desto besser fallen auch die Recyclingquoten aus. Länder mit höheren Recyclingquoten haben oft ein breiteres Spektrum an Maßnahmen eingeführt, darunter Deponieverbote für biologisch abbaubare Abfälle, obligatorische getrennte Sammlung von Siedlungsabfällen und wirtschaftliche Instrumente wie Deponie- und Verbrennungssteuern.
Europäische Nachzügler beim Recyceln
Doch es gibt auch Nachzügler. Der Frühwarnbericht der Europäischen Kommission von 2023 zeigt, dass 18 von 27 Mitgliedstaaten Gefahr laufen, die Ziele für 2025 zu verfehlen. Besonders alarmierend ist, dass acht Mitgliedstaaten das Siedlungsabfallziel und zehn Staaten sowohl das Siedlungs- als auch das Verpackungsabfallziel möglicherweise nicht erreichen werden.
Bulgarien und Rumänien stehen vor besonders großen Herausforderungen. Bulgarien hatte 2020 eine Recyclingquote von nur 5% für Siedlungsabfälle, während Rumänien 2021 lediglich 11,3% erreichte. Diese Länder müssten ihre Recyclingtätigkeiten um mehr als 4 Prozentpunkte pro Jahr steigern, um das EU-Ziel bis 2025 zu erreichen – eine Leistung, die bisher kein Land vollbracht hat.
Immerhin: Langsam wird mehr getrennt und recycelt
Insgesamt zeigt sich in der EU allerdings ein positiver Trend. Die Recyclingquote für Siedlungsabfälle ist von 27% im Jahr 2000 auf 49,6% im Jahr 2021 gestiegen. Ein Anstieg von 21 Prozentpunkten in zwei Jahrzehnten.
“Natürlich bedarf es hoher Investitionen. Nicht nur das Sammeln ist wichtig, es muss ja auch recycelt werden. Deutschland hat eine Infrastruktur seit Jahrzehnten, die Sortierkapazitäten werden kontinuierlich ausgebaut. Eine Sortieranlage kostet einen zwestelligen Millionenbetrag, da sind schnell ein paar Hundert Million Euro investiert. Und nach der Sortierung muss das Recycling erfolgen, auch hier muss investiert werden”, so Désilets. “Es gibt aber auch spannende Beispiele wie in Rumänien, wo aus dem Stand 80.000 Rücknahmeautomaten bei Getränkehändlern für Glas-, Metall- und Kunststoffverpackungen innerhalb kürzester Zeit aufgestellt wurden. Nach Deutschland das größte Rücknahmesystem in Europa. Kleinere Läden können die Behälter auch manuell an der Kasse einsammeln und mit 10 Cent vergüten”, erzählt Désilets. Der rumänische Umweltminister Mircea Fechet erwartet ab dem dritten Jahr - also etwa ab 2026 ähnlich hohe Sammelquoten wie in Deutschland für Glas, Aludosen und PET-Flaschen.
Einige Länder haben besonders bemerkenswerte Fortschritte gemacht. Das Vereinigte Königreich etwa – damals noch Mitglied der Union – erhöhte seine Recyclingquote für Siedlungsabfälle von 12% im Jahr 2001 auf 39% im Jahr 2010. Slowenien verzeichnete den höchsten Anstieg der Recyclingquote in den vergangenen zwei Jahrzehnten mit 57%.
Viele kleine, spannende Ideen
So begrüßenswert die Fortschritte sind – echte Kreislaufwirtschaft ermöglichen sie noch nicht. Neben Anreizsystemen, einschlägiger Bildung bereits in den Schulen und verbesserter Information der Verbraucher:innen rücken auch immer wieder einzelne originelle Ansätze für Sortierung und Verwertung ins Rampenlicht.
In Schweden zum Beispiel werden nahezu alle Abfälle verbrannt – ob man die damit erreichte „Recyclingquote“ von 99 Prozent akzeptieren kann, ist mehr als umstritten. Daher gibt es auch neue Vorgaben für wertstoffliches Recycling in der EU - wozu keine Verbrennung zählt. Doch in dem skandinavischen Land sind auch einige sehr innovative Ideen entstanden.
So wurden etwa Reparaturen steuerlich begünstigt, um der Wegwerfmentalität entgegenzutreten. An der Universität Uppsala wurde ein Verfahren getestet, eine bestimmte Fliegenart mit Biomüll zu füttern, bevor sie ihrerseits (voll mit Proteinen) an Zuchtlachse verfüttert werden. In einem speziellen Upcycling-Kaufhaus gibt es nur Waren, die aus repariertem oder renoviertem Müll stammen. Und sogar eine neue Sportart ist in Schweden entstanden: „Plogging“, also Joggen bei gleichzeitigem Müllsammeln.
Ein Tropfen auf den heißen Stein? Mag sein, und sie werden mangelnde Infrastruktur und Organisation nicht ersetzen. Doch was aus vielen Tropfen werden kann, ist ja bekannt.
"Als Twen bin ich durch Griechenland getrampt und mit dem Zug gefahren. Überall entlang der Schiene lagen mehrere Meter breite Müllschneisen, weil die Leute ihren Müll einfach aus dem Fenster geworfen haben. Heute sieht das Bild ganz anders aus und Sammelcontainer machen sich in Europa immer breiter. In meinen Urlauben komme ich selten umhin, mal Beispiele von Sammel- und Trennmethoden zu fotografieren. Eines der spannenderen Beispiele war eine ‘sprechende’ Sammeltonne auf Paros”, erzählt Désilets.
Es tut sich also etwas. Sammeln ist nur der erste Schritt. Danach muss ja das Material noch sortiert und recycelt werden. Dazu dann mehr in unseren nächsten Blogs.