Auf den ersten Blick ist es bloß eine neue Richtlinie, die viel Bürokratie bedeutet. Die EU-Vorgabe mit dem mehr oder minder eingängigen Namen „Corporate Sustainability Reporting Directive“ (CSRD) erweitert zuerst einmal den Kreis jener Unternehmen, die künftig ihre Nachhaltigkeitsbilanz offenlegen müssen. In der EU werden es rund 50.000 Unternehmen sein, die von der Richtlinie betroffen sind – und zwar anhand ihrer Unternehmensgröße und ihrer Bilanz-Kennzahlen: Ist der Umsatz höher als 40 Millionen Euro oder die Bilanzsumme größer als 20 Millionen Euro und arbeiten in einem Unternehmen mehr als 250 Beschäftigte, so heißt es künftig, sich an die neue CSRD zu halten - und das schon ab 2024, also mit dem Berichtszeitraum für das Geschäftsjahr 2023.
Nachhaltigkeit: Erreicht alleine reicht nicht mehr
Diese Unternehmen müssen künftig transparent und überprüfbar Informationen zu den Bereichen Umwelt (Environment), Soziales (Social) und Unternehmensführung (Governance) veröffentlichen. Das Spannendste an der neuen Richtlinie ist der Bereich Governance. Denn das verlangt nichts anderes als die Dokumentation einer Zielvorgabe, wie ein Unternehmen künftig nachhaltig wirtschaften möchte, wie Nachhaltigkeit in der Unternehmensführung verankert ist und wie man denn nun eigentlich dazu beitragen möchte, die EU-Vorgaben für eine klimaneutrale Wirtschaft zu erreichen. Das ist für Unternehmen vermutlich der schwierigste Teil. Nicht mehr das Erzählte reicht, nicht einmal das Erreichte zählt, sondern das Ziel zählt. Damit kommt Nachhaltigkeit endgültig in den Chefetagen an. “Nachhaltigkeit wurde viele Jahre als teurer Mehraufwand erachtet und daher auch abgelehnt. Der Zwang, sich mit der Berichterstattung und vor allem auch mit den ganzen Analysen im Vorfeld der Berichte zu befassen, wird vielen Unternehmenslenkern die Augen öffnen. Denn plötzlich wird deutlich, dass sich mit Nachhaltigkeit richtig viel Geld sparen lässt. Ich sage immer: Nachhaltigkeit bedeutet, Verschwendung zu reduzieren und somit diese Kosten einzusparen. Aber es bedeutet auch Arbeit - die man an ein, zwei Verantwortliche delegieren sollte und die auch die Zeit dafür benötigen”, so Pacoon-Geschäftsführer Peter Désilets.
Stolperstein Supply Chains
Erhöhter Aufwand droht auch und vor allem bei der Integration interner und externer Stakeholder in die Berichtspflicht: So müssen etwa künftig Supply Chains durchleuchtet und Lieferanten auch nach Nachhaltigkeitskriterien überprüft werden. Gerade für Verpackungshersteller mit ihren langen Wertschöpfungsketten und vielen Rohstoff-Lieferanten kann das eine ausgesprochen mühsame Angelegenheit werden und dürfte in manchen Fällen gar zur Notwendigkeit führen, neue Lieferanten finden zu müssen. Produzenten von Produkten und Verpackungen haben jetzt auch die Aufgabe, ihren Product Carbon Footprint zu errechnen. Denn die Lieferkette will auch die Auswirkungen der vor- und nachgelagerten Services verstehen und einberechnen - den sogenannten Scope 3. Da wartet viel Arbeit, aber es lockt auch die Chance, ein preferred partner zu werden, wenn man diese Daten bereit hat”, so Désilets über die wirtschaftliche Upside der Beschäftigung mit CSRD. Das wird den Druck auf viele Verpackungshersteller und Produzenten erhöhen, gegenüber ihren Kunden, großen FMCG-Herstelllern oder dem Handel etwa, verstärkt Rechenschaft ablegen zu müssen. Denn selbst wenn es derzeit klare Limits gibt, ab wann Unternehmen nach CSRD berichtspflichtig sind, wird die Direktive weitaus größere Kreise ziehen. Kleine und mittlere Unternehmen, sozusagen administrativer Beifang der Direktive, sehen sich derzeit aber genau davon überfordert: 40 Prozent der deutschen KMUs, die eigentlich noch gar nicht direkt von der Richtlinie betroffen sind, fühlen sich von seiten ihrer Kunden unter Druck gesetzt, eine nachhaltigere Unternehmensführung anzustreben. Wenn die CSRD-Richtlinie dann ab 2024 in Kraft ist und viele Unternehmen ihre Supply Chains durchkämmen, wird diese Quote mutmaßlich noch steigen.
Unternehmen sehen sich selbst schlecht vorbereitet auf CSRD
Doch wer glaubt, nur KMUs spüren den Druck, der irrt gewaltig. Auch Unternehmen, die etwa direkt von den neuen EU-Vorgaben betroffen sind und aufgrund ihrer Größe eigentlich schon Erfahrung mit CSR-Berichten haben, dürften nicht besonders gut vorbereitet sein. Drei von vier Industrieunternehmen in Europa sehen sich laut einer Studie des Softwareunternehmens ARAS schlecht vorbereitet, ein Drittel vor allem wegen fehlender Daten. “Das Interessante ist ja, dass man für die allgemeine Unternehmens-Analyse gar keine Daten benötigt - das wissen aber die meisten gar nicht. Aber wie soll man seinen Status Quo dann in vergleichbare Zahlen transferieren?”, macht Peter Désilets auf ein weithin unbekanntes Detail aufmerksam.