Klimakrise, Verschmutzung der Gewässer durch Mikroplastik, gesundheitliche Bedenken – es gibt genug Gründe und damit auch eine aktuellen Trend, um bei Verpackungsmaterialien den Plastikanteil so gering wie möglich zu halten. Oder gleich auf faserbasierte Stoffe zu setzen, wie zum Beispiel Zellulose.
Der große limitierende Faktor für faserbasierte Verpackungen lautet bei Lebensmitteln freilich: Produktschutz. Denn im Lebensmittelsektor werden faserbasierte Verpackungen der Haltbarkeit wegen bisher sehr oft foliert. Durch dieses Kunststoff-Laminat auf dem Fasermaterial kann dessen Recyclingfähigkeit beträchtlich leiden.
Selbst dort, wo theoretisch beim Entsorgen eine Trennung zwischen Kunststoff und Faser möglich wäre, wird diese Trennmöglichkeit von der Mehrheit der Verbraucher nicht genutzt. Bei Papierverpackungen mit Kunststofffolie bedeutet das daher in aller Regel, dass die gesamte Verpackung entweder im Altpapier landet oder in der Kunststoffverwertung. Beides ist definitiv nicht optimal im Sinne der Kreislaufwirtschaft und Ressourcen-Schonung. „Ein bedeutendes Beispiel dieses trennbaren Verbundes ist der klassische Joghurtbecher mit Pappbanderole, dazu noch eine Aluplatine und – in letzter Zeit aber immer weniger – einem Kunststoff-Deckel. Da es bekannt ist, dass der Verbraucher diese Packungsbestandteile in aller Regel beim Entsorgen im gelben Sack nicht trennt, wird dem gesamten Becher auch eine schlechte Recyclingfähigkeit beschieden. Und das, obwohl alle Bestandteile für sich eine sehr gute Sortier- und Recyclingfähigkeit aufweisen, wenn sie getrennt entsorgt würden. Darum gibt es auch Entwicklungen, die Trennbarkeit immer einfacher zu gestalten oder auf Folien ganz oder weitestgehend zu verzichten”, analysiert PACOON-Geschäftsführer Peter Désilets.
Forschung gibt Gas
Das war die nicht so gute Nachricht. Eine gute Nachricht gibt es allerdings auch: Gerade die Beschichtungstechnologie entwickelt sich derzeit in einem rasanten Tempo. So existieren inzwischen bereits Verpackungen, zu annähernd 100% aus Zellulose bestehend, die bei Parametern wie Haltbarkeitsdatum und Produktschutz für einige Produktgruppen mit klassisch folierten Varianten mithalten können. „Welche Barrieren genau dort zum Einsatz kommen, wird nicht gern verraten. Aber das können algenbasierte Varianten sein, Plasma-Beschichtungen, Zucker-basierte Barrieren oder auch ‚Solgel‘-Anwendungen sein. Die Zahl der Lösungen ist vielfältig und es wird in viele Richtungen geforscht. Mit ihnen können sehr gute Werte bei Fett-, Öl- oder Wasserresistenz erreicht werden und in Kombination mit anderen Kartonbestandteilen wie Primer auch sehr gute Sauerstoff- und Wasserdampfwerte. Die höchste Hürde stellen aber nicht die Kunststoff-Barrieren, sondern immer noch die Alu-Barrieren dar” sagt Désilets.
Die Forschung arbeitet überdies an einer Reihe von Verfahren, die das Barriere-Dilemma lösen, indem sie extrem dünne und oft auch bioabbaubare Beschichtungen erlauben. Folien können inzwischen mit nasschemischen Verfahren aufgebracht werden, was die Verwendung biologisch abbaubarer Materialien erleichtert. Ziel ist es auch, Aluminium oder Siliciumoxid per Gasphasenabscheidung auf faserbasierte Verpackungen aufzubringen. Das würde eine Barriere-Schicht von nur noch 60 Nanometer erlauben, wie das Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung IVV gezeigt hat. Auch bei PACOON wird daran getüftelt, wie Peter Désilets verrät: „Wir selbst sind mit Barriere-Anbietern in Kontakt, die eine Barriere von fünf bis 20 Nanometer aufbringen können.”
Markt im Aufbruch
Faserbasierte Verpackungen erleben derzeit jedenfalls einen Boom. Mehr als 425 Milliarden US-Dollar machte 2022 der Weltmarkt für diese Stoffe aus. Für die nächsten fünf Jahren rechnet die Branche mit weiteren Steigerungen, wobei neben Wellpappe, Faltschachteln, und Spezialpapieren vor allem auch geformter Zellstoff und flexible Papiere in den Fokus rücken dürften, etwa um Alternativen für flüssige Produkte im Kosmetikbereich zu etablieren. Desiléts: „Diese Faserform-Verpackungen sind in unterschiedlichen Ausführungen auf dem Markt: als sogenannte Dry Mold oder Wet Mold-Verpackungen, also trocken geformte oder nass geformte Behälter. Auch ein Faserspritzguss wie beim Kunststoff Injection Molding ist schon in der Erprobung. Und wir werden in diesem Bereich in Kürze immer mehr Verpackungen sehen, die komplette Hohlkörper aus einem Guss herstellen.”
Inzwischen mangelt es auch nicht an unkonventionellen Ideen, die aus der Start-up-Welt kommen. Welche von ihnen sich dauerhaft durchsetzen können, bleibt natürlich noch offen. Als langfristig zukunftsfähig gelten zum Beispiel faserbasierte Materialien aus Agrarabfällen. Gras ist schon seit ein paar Jahren bekannt, Bagasse ebenso, Silfie ist in der Erprobung, Hanf durchläuft Tests und Stroh stellt ein riesiges Resourcenvolumen dar. In Asien ist die Verwendung von Bambusfasern und Reisstroh schon länger keine Seltenheit mehr, Zuckerrohrfasern aus Lateinamerika ebenso. Allen gemein ist einerseits die Verwendung eines Abfallproduktes, andererseits liegen sie im Trend, weil Holz als Grundstoff für Papier und Kartonagen aktuell auch unter dem Aspekt der Deforestierung negativ betrachtet wird. Hier könnten diese alternativen Abfallstoffe für eine Entlastung sorgen, weisen gleichzeitig noch einen niedrigeren CO2-Fußabdruck auf und sind regional teilweise in großen Mengen verfügbar. Aber nicht nur von Land kommen diese Resourcen auf den Verpackungsmarkt. Auch aus dem Wasser stammen alternative ,Fasermaterialien’ wie Seegras oder Algen. „Die große Herausforderung besteht in der wirtschaftlichen Tragfähigkeit und den gesundheitlichen Risiken, die aus Agrarreststoffen oder auch Produktionsresten durch die Verpackung auf das verpackte Gut übergehen können. In diesem Bereich wird ebenfalls stark geforscht und untersucht, um sich nicht das nächste Problem ins Haus zu holen”, sagt Peter Désilets.