Selbst die besten Partys finden einmal ein Ende. Die letzten Reste der Torte sind in den Kühlschrank gewandert. Am kommenden Morgen beginnt das große Aufräumen. Die leeren Bierflaschen wandern in den Kasten zurück, beim nächsten Supermarktbesuch kommen sie dann in den Pfandautomaten. Die Weinflaschen finden ihr (vorläufiges) Ende im Altglascontainer, da kann man auch gleich das beim Frühstück geleerte Marmeladenglas mitnehmen.
Verpackungen aus Glas haben einen nachhaltigen Ruf, beim Entsorgen der Party-Überbleibsel kommt also kein schlechtes Gewissen auf - höchstes ob des Alkoholkonsums oder der Süßattacke, die mit einem geleerten Glas Haselnusscreme abgewehrt wurde. Aber ist eine Verpackung aus Glas tatsächlich umweltfreundlicher?
Langes Durchhaltevermögen
Die Produktion neuer Glasbehälter, sei es für Getränke oder Joghurt im Glas, ist jedenfalls ganz schön energie- und ressourcenintensiv. Insbesondere die enormen Temperaturen, bei denen Glas eingeschmolzen werden muss, sorgen für eine hohe CO2-Bilanz.
Glasflaschen haben demnach vor allem dann das Potenzial zu einer nachhaltigen Alternative, wenn es sich um eine Mehrweg-Variante handelt und die Gläser nicht jedes Mal neu produziert werden müssen. Hersteller können Mehrweg-Flaschen bis zu 50-mal wiederbefüllen, sie erreichen auf diese Weise eine Lebensdauer von bis zu 6 Jahren. Zum Vergleich: Bei Mehrweg-Plastikflaschen ist das nur halb so oft möglich.
Außerdem ist Glas inert, gibt also weder Geschmack noch Geruch an das verpackte Produkt ab - während von Kunststoffen Stoffe wie Weichmacher übergehen können, die in Lebensmitteln denkbar unerwünscht sind. Glas als Verpackungsmaterial kann die Ansprüche der Kunden und Kundinnen in Sachen Nachhaltigkeit und Lebensmittelsicherheit durchaus bedienen. “In allen unseren Studien und denen von Instituten kommen Glasverpackungen regelmäßig sehr positiv an bei Endverbraucher*innen. Mehrweg toppt dieses Ergebnis generell noch, unabhängig vom Material. Die Ausgangslage ist also optimal, sich mit Glas als Verpackungsmaterial zu befassen”, sagt Pacoon-Geschäftsführer Peter Désilets.
Mehrweg mit Stolperfallen
Doch das deutsche Pfandsystem hat seine Tücken und im schlechtesten Fall werden mehr Ressourcen verbraucht als geschont. Zum einen greift das Mehrweg-System auch in Deutschland nur für bestimmte Gläser. Michael Heidan, Geschäftsführer von ReViSalt, ist seit Jahren in der Glasindustrie tätig: “Weltweit gibt es nur wenige Länder, in denen Pfandsysteme für Glas überhaupt existieren. In Deutschland gibt es zwar Pfandsysteme, aber nur für eine überschaubare Anzahl von Glastypen. Viel wird eingeschmolzen oder weggeworfen.”
Die Glasflaschen im Bierkasten werden wiederverwendet, bei Wein sieht es jedoch anders aus - aber hier tun sich erste Piloten auf, schließlich war der Mehrweg bei Wein früher der Standardweg mit regionalen Spülzentren für die Winzer. Das soll wiederbelebt werden. Aber bei vielen Glasgebinden landen diese meist im Glascontainer, ebenso wie beispielsweise ein Gurkenglas. Mehrweg ist laut Heidan eine “theoretische Idealvorstellung, die es in Wirklichkeit noch nicht ausreichend gibt”.
Kein Standard-Glas
Zum anderen landen Flaschen in Pfandautomaten, die keinen einheitlichen Standards entsprechen. Hersteller wollen sich vom Markt abheben, füllen zum Beispiel Bier in Flaschen mit unterschiedlichen Formen, sogenannte “Individualflaschen”. Diese sollen dann natürlich in ganz Deutschland verkauft werden, die Lieferung erfolgt von Bayern bis nach Norddeutschland oder auch ins Ausland - dann häufig mit leichteren Flaschen, denn ein Wiedersehen ist derzeit wenig wahrscheinlich.
Sind die Getränke aus Hopfen und Malz ausgetrunken, müssen die leeren Glasflaschen wieder zurück an ihren ursprünglichen Produktionsstandort; zusammen mit ihren gebrandeten Kisten. Dort sind die Waschanlage installiert und können die Flaschen reinigen und neu befüllen. Das bedeutet unnötig lange Wege beim Rücktransport, was einige Vorteile des Mehrweg-Systems zunichte macht. “Aber trotz dieses Nachteils rechnet sich Mehrweg meist gegenüber Einweg nach zwei bis fünf Umläufen. Und es gibt noch viel Optimierungspotenzial. Das Glas können wir schon etwa 50 Prozent leichter und zugleich stabiler machen. wir haben auch ein neues Mehrwegkonzept entwickelt, das beim Flaschen- und Kisten-Transport über 20 Prozent im befüllten und über 50 Prozent im leeren Zustand einspart. Wenn diese Flaschen oder Behälter dann standardisiert sind, die Reinigungszentren regional die Reinigung übernehmen und gespülte Behälter zum Befüllen ausliefern, dann rechnet sich der Einsatz auch für kleine Abfüller. Wenn die Behälter dann vermietet werden statt gekauft werden müssen, dann endet auch der Kampf um die Behälter, den die Kleinen in der Regel verlieren und neue Behälter teuer kaufen müssen. Das wäre dann die Demokratisiertung der Mehrwegbehälter”, erzählt Peter Désilets über die Perspektiven für Glasverpackungen.
Recycling als Plan B
Dem gegenüber stehen standardisierte Flaschen, sogenannte “Poolflaschen”, mit einheitlicher Form. Sie können am nächstgelegenen Standort eines entsprechenden Abfüllers gereinigt und neu befüllt werden. “Das Pfandsystem ist richtig und gut und macht am Ende wirklich Sinn, wenn es einheitliche Standards gäbe”, so Heidan. “Es geht ja immer um Ressourcenverschwendung und Nachhaltigkeit. Der Aufwand bei Transport, Logistik und der Sortieraufwand sind groß, aber es macht eigentlich wenig Sinn, Glas nur einmal zu benutzen. Je höher die Umlaufzahl, desto ökologischer wird das Pfandglas.”
Die Vorteile von Gläsern zeigen sich dennoch auch bei Einweg-Verpackungen, insbesondere beim Thema Recycling. “Glas kann im Gegensatz zum Kunststoff unendlich recycelt werden und es hat keinen Verlust der Eigenschaften”, erklärt Heidan. Das Einschmelzen und die Neuproduktion von Flaschen kostet zwar noch immer viel Energie, doch das Verwenden von Altglas reduziert zumindest die dafür notwendigen neuen Materialien. Der Weg zum Glascontainer und das Trennen nach Farben ist also nicht umsonst.
Entwicklung nötig
Ein weiterer Punkt ist laut Heidan das Einsparen von Material: “Beim Glas ist das Wichtigste, dünnwandiger und leichter zu werden, weil das unmittelbar Energie und Ressourcen schont.” Gleichzeitig müssen die Gläser widerstandsfähig sein. Teure Produkte wie Smartphone-Displays werden bereits heute - in einem langwierigen und kostenintensiven Prozess - chemisch verfestigt und dadurch deutlich robuster. ReViSalt hat ein Verfahren entwickelt, durch das chemisches Härten in Minuten statt Stunden möglich ist. Damit wird chemisch gehärtetes Glas für den Massenmarkt und damit auch für die Verpackungsindustrie attraktiv.
Wie viele andere Branchen ist die Glasindustrie jedoch zurückhaltend, umfassende Produktionsumstellungen bedeuten schließlich auch Investitionen. Bis Flaschen einheitlich und durch technische Innovationen leichter sowie widerstandsfähiger werden, dürfte noch einige Zeit ins Land gehen. Wichtig wäre, eine solche Entwicklung bereits heute zu forcieren - sei es vonseiten der Gesetzgeber:innen oder von Unternehmen, die in Zukunft ohnehin einen veralteten Produktionsstandort erneuern müssen. Peter Désilets: “Zukunftsorientierte Unternehmen sollten diesen Weg als lukratives Businessmodell verstehen - eine neue Technik, mit 50 Prozent weniger Material bedeutet einen Vorsprung gegenüber den Wettbewerbern, deutlich geringeren CO2-Output und zukünftig geringere Ausgleichszahlungen und Kosten und somit neue Wachstumschancen. Wenn die Unternehmen diesen Ansatz weniger als Produktion von Tonnage und mehr als Wertschöpfung verstehen, dann sieht die Zukunft rosig aus”.
Das gilt auch für die Entscheidung, überhaupt auf Glas als Verpackungsmaterial zu setzen. Während Milch in der Glasflasche oder der Joghurt im Glas bislang eher die Ausnahme als die Regel sind, kommen Bier und Wein schon seit Langem in der Glasverpackung daher. “Es gibt traditionell Lebensmittel, die die Konsument:innen sich in Glas besser vorstellen können - dazu gehören Bier und Wein. Bei anderen Lebensmitteln herrscht aber auch die Angst vor Bruch, Glasscherben und Food Waste vor. Dies kann mit den neuen, bruchsicheren Glastechnologien aber noch reduziert werden - obwohl die tatsächlichen Bruchquoten viel niedriger sind als allgemein befürchtet wird”. meint Désilets.
Lebensmittel nachhaltig verpackt?
Wer Getränke und Lebensmittel in Glasverpackungen statt in Plastik gehüllt kauft, wähnt sich nicht selten in der Sicherheit, einen Teil zur Lösung des Müllproblems beigetragen zu haben. Doch wie wir gesehen haben, gibt es für Glas großes Potenzial, noch nachhaltiger zu werden.
Das Mehrweg-System auszubauen und auf einheitliche Standards zu setzen, ist ein Teil davon. Zwar werden auch Limonade und Mineralwasser immer öfter in Mehrweg-Glasflaschen abgefüllt. Hersteller haben den nachhaltigen Vorteil und die Nachfrage der Kundschaft erkannt. Doch wenn Leergut durch das halbe Land gefahren wird, ist das wenig umweltschonend. Damit Glas seinem nachhaltigen Image gerecht werden kann, müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Welche das sind, erläutert Peter Désilets so: “Der wichtigste Hebel hin zu Mehrweg besteht im Aufbau eines internationalen Kreislaufsystems mit der Rücknahme, Sortierung, Reinigung, Verteilung und Nachverfolgung. Dieses System ist im Entstehen, aber wird derzeit noch getrieben von kleinen Initiativen. Hier sollte die EU aber auch die anderen Länder und Regionen in der Welt die Investitionen fokussieren, denn es müssen Rücknahmestellen geschaffen werden. Die Konsument*innen müssen eine einfache Rückgabe ermöglicht bekommen, das zeigt sich immer wieder als Knackpunkt für eine hohe Akzeptanz.”