Was sind aus Deiner Sicht die wichtigsten Motive für Unternehmen, über eine Veränderung der Verpackungsmaterialien nachzudenken?
Ganz einfach: Nachhaltigkeit und ihre Auswirkungen auf das künftige Business können Unternehmen künftig einfach nicht mehr ignorieren. Das hat sich in den letzten Jahren ziemlich verändert. Vor nicht allzu langer Zeit haben wir Unternehmen noch darauf hinweisen müssen, dass eine nachhaltigere Verpackungslösung auch eine nachhaltigere Positionierung des Unternehmens gegenüber seinen Mitbewerbern und Mitbewerberinnen bedeutet. Jetzt ist der Hinweis unnötig geworden: Nachhaltigkeit und ihre Sichtbarkeit für Konsument:innen entscheidet schlicht und einfach darüber, ob man im Geschäft bleibt oder nicht.
Wie hat sich diese Veränderung denn auf das Beratungsportfolio von PACOON ausgewirkt?
Ich erinnere mich, dass wir noch 2018 Unternehmen informiert haben, wie das neue Verpackungsgesetz die Landschaft verändern wird. Damals interessierten sich alle vor allem für das Recycling. Da wurden dann Zertifikate abgefragt, wie gut oder schlecht Verpackungen ins Recycling passen. Dann begann das Nachdenken über alternative Verpackungen. Und nun sind wir schon eine Phase weiter: Heute sehen wir immer mehr Anfragen, die komplette Verpackung zu hinterfragen, inklusive der Frage, ob es eine Einweg- oder Mehrweglösung sein soll und auch die Berücksichtigung von internationalen Vertriebswegen – was wir ebenfalls seit Jahren schon in den Fokus rücken.
Und was wird die nächste Phase sein?
Ich prognostiziere mal, dass als nächstes der Schritt folgt, dass die Kosten der kompletten Value Chain näher betrachtet werden. Das kann große Einsparpotenziale mit sich bringen. Wir versuchen schon seit längerem die Unternehmen davon zu überzeugen, dass Nachhaltigkeit die Reduktion von Verschwendung bedeutet, was unweigerlich zu Einsparungen führt. Aber die Unternehmen gehen noch immer davon aus, dass Nachhaltigkeit teurer ist – zum Glück ist das aber ein Trugschluss. Unser Job ist es, genau das beweisen zu können.
Was steht nun am Beginn der Analyse, ob es eine Neubewertung der Materialien für die Verpackung überhaupt braucht?
Am Anfang steht für uns immer das Verständnis der kompletten Value Chain, der Lieferwege und Prozessschritte. Daraus ergibt sich dann eine Auswahl möglicher Lösungswege und eine Eingrenzung auf verschiedene Materialien, die in Frage kämen. Häufig kommt unsere Kundschaft aber auch schon mit einem konkreten Wunsch auf uns zu. Den hinterfragen wir dann und klären über Pro und Contra auf. Irgendwann muss sich das Unternehmen dann für einen Weg entscheiden, denn die 100%-Lösung gibt es leider noch immer nicht. Da wir uns aber schon seit 2008 intensiv mit nachhaltigen Verpackungen befassen, kennen wir natürlich auch viel mehr Ansätze, als die Unternehmen selbst im Blick haben.
Wie können Unternehmen bewerten, wie groß der Anteil bedenklicher Stoffe am Verpackungsmaterial ist? Worauf gilt es da besonders zu achten?
Eine gute Frage, die ständig mit neuen Informationen beantwortet werden muss. Je tiefer wir in die Materie und die komplette Supply Chain einsteigen, umso komplexer wird es. Das ist die ganz normale Entwicklung unserer Zeit – je mehr ich weiß, desto mehr Fragen tun sich auf. Das gilt für alle Materialien – ob Kunststoffe, Fasern, Metalle, Glas oder auch Barrieren, Lacke, Farben, Kleber, Additive. Und es ist auch egal, ob die Materialien schon seit Jahrzehnten auf dem Markt sind oder ganz neu entwickelt wurden. Einen falschen Eindruck muss man oft sofort zerstreuen: Dass die seit langem verwendeten Stoffe nicht unbedenklicher sein müssen, nur weil man sie bisher nicht hinterfragt hat. Neue Stoffe müssen ja häufig ihre Unbedenklichkeit beweisen, obwohl die etablierten Stoffe dies auch nie getan haben.
Worauf konzentriert Ihr Euch bei Eurer Analyse der bedenklichen Stoffe in Verpackungen?
Generell kann man Materialien auf Fremd-, Stör- oder toxische Stoffe untersuchen. Allerdings wird das Ergebnis immer nur auf dem Stand des Wissens überprüft. Früher war Asbest ein Allheilmittel im Baubereich. Seit den 90er Jahren ist es verboten, weil man über die krebserregenden Bestandteile informiert war. Oder PFAS für viele Kartonanwendungen im To-Go-Bereich – jahrzehntelang ein bekannter, leicht anzuwendender Stoff, der eine Fett- und Ölbarriere geboten hat. PFAS ist als krebserregend erkannt worden. Es gibt heute schon einfache Möglichkeiten, PFAS aus den Packungen zu verbannen. Aber selbst von gesetzlicher Seite hinkt man hinterher. Ähnlich ist es mit BPA bei Dosen gewesen.
Als Unternehmen kann man bei Bekanntwerden von toxischen oder gesundheitsgefährdenden Stoffen sofort aktiv werden. Oder man macht erstmal die Augen zu und belässt alles beim Alten. Aber dem wohnt ein beträchtliches Reputationsrisiko inne.
Was sind die wichtigsten Säulen eines nachhaltigen Renew-Konzepts bei der Umstellung von Verpackungen?
Wir denken ein Renew-Konzept immer ganzheitlich. Denn die erste Aufgabenstellung heißt meistens, das Material auszutauschen und nicht viel teurer zu werden – vor ein paar Jahren hieß es übrigens noch „gar nicht teurer“. Das hat sich gewandelt. Da der Kostenaspekt neben dem Imagefaktor das wesentliche Entscheidungskriterium ist, versuchen wir die Kosten in der Regel stabil zu halten oder gar zu reduzieren. Das erfordert natürlich immer viel Offenheit seitens der Kundschaft, was leider nicht immer gegeben ist.
Welche Hürden begegnen Euch in Eurer Arbeit am öftesten, wenn es um die Umstellung auch nachhaltige Materialien bei Verpackungen geht?
Eine wichtige Hürde sind wie schon angedeutet die Kosten und Prozesse. Vor allem während Corona war es bisher schwer, einen Blick in die Produktion zu werfen und Fragen an die Abteilungen zu stellen über die Prozesse. Da begegnen wir in der Regel immer neuen Bedingungen im Laufe der Entwicklung, die der Kundschaft selbst anfangs auch nicht bekannt waren. Das verlangsamt natürlich den Prozess, im schlimmsten Fall macht es eine Entwicklung auch ein Stück weit obsolet und wir müssen zwei, drei Schritte zurück.
Schwierig wird es meist auch, wenn unsere Kundschaft selbst nicht produziert, da werden dann die Informationen aus der Produktionskette gern geheim gehalten. Das sind dann die komplizierteren Entwicklungsprozesse. Dabei sind interne Informationen oder Ideen aus der Vergangenheit sehr schöne Ansätze für neue Konzepte. Unsere Beobachtung geht dahin, dass deutsche Unternehmen zurückhaltender sind als viele ausländische Firmen. Hier liegt noch viel Potenzial drin, das interne Wissen mit dem externen Know-how zu kombinieren. Wir haben aber auch schöne Beispiele, wo es eine sehr befruchtende Zusammenarbeit gab.
Wie wirkt sich die Materialumstellung üblicherweise auf das Design von Verpackungen aus?
Wenn es um das grafische Design geht, dann sind die Auswirkungen eher gering. Als Grafikdesigner:innen mit über 30 Jahren Erfahrung ist es für uns Tagesgeschäft, Designs an neue Formen, Materialien und Drucktechniken anzupassen.
Was die Konzeption der Packung – oder wir nennen es auch Structural Design – betrifft, bringt jedes Material natürlich Unterschiede mit bei Verarbeitbarkeit, Verfügbarkeit, Umweltaspekten von der Ressource bis zur Entsorgung. Und es gibt natürlich andere Kostenstrukturen. Je nachdem, wie groß der Unterschied der Materialien ist, stellt die maschinelle Verarbeitung eine große Hürde dar. Spannend ist gerade jetzt, dass die Maschinenbauer:innen sich auf die neuen Gegebenheiten einstellen möchten, um flexibler zu werden – das konnten wir auch auf unseren letzten Messepräsenzen auf der ProSweets 2022 und Anuga Foodtec 2022 feststellen, wo Maschinenbauer:innen uns kontaktiert haben, um gemeinsam daran zu arbeiten, wie Verpackungsmaschinen in den nächsten Jahren aussehen müssen.
Welche Entwicklungen und Trends seht Ihr bei Reuse-Konzepten von Verpackungen?
Reuse – oder für viele hauptsächlich Mehrweg – ist der nächste Umbruch bei Verpackungen mit riesigen Marktpotenzialen. Hier sehen wir zwei wesentliche Strömungen: diejenigen, die diese neue Entwicklung so lange wie möglich von sich und ihrem etablierten Geschäftsmodell fernhalten wollen und sie ignorieren. Und diejenigen, die aktiv an dem Trend mitarbeiten, ihn prägen wollen, um Erfahrungen zu sammeln und bereit zu sein, wenn der Wandel dann auch in großen Schritten vollzogen wird. Da wir selbst auf mehreren Ebenen eines neuen Systemansatzes mitarbeiten und entwickeln, sehen wir auch, wie verschiedene Unternehmen damit umgehen.
Was kommt auf die Verpackungsbranche zu, wenn Reuse- und Renew-Konzepte den Markt durchdringen?
Die Reuse-Branche stellt sich gerade auf – während woanders noch der Fokus auf Recycling von Einwegverpackungen gerichtet wird. Ich bin gespannt, welche Entwicklung es zuerst geschafft hat, international flächendeckend ein harmonisches System aufzubauen. In den beiden Bereichen „Einweg“ oder „Mehrweg“ sind große Investitionen nötig: für das Kunststoff- oder Papier- Recycling und Rücknahmesysteme für Einweg- oder Mehrwegverpackungen. Die Branche muss sich also in den nächsten zwei bis drei Jahren entscheiden, in welche Richtung sie investieren will. Aber ich sage auch ganz ehrlich: Dauerhaft gesehen ist ein Reuse-System natürlich deutlich interessanter, weil es der Ansatz ist das Verpackungs- und Ressourcen-Problem langfristig in den Griff zu bekommen. Dafür muss unser heutiges Mehrwegsystem allerdings grundlegend erneuert werden.