Reguliert bis in die letzten Winkel der Produktionshallen. Hoch innovativ. Kritisch von der Öffentlichkeit begleitet, wenn – wie etwa jetzt – viele ihrer Produkte knapp sind. Und dabei immer: erstaunlich nachhaltig. Das ist die Pharmaindustrie.
Schon seit den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts bemüht sich die Pharma-Branche darum, ambitionierte Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Mit teilweise cleveren Initiativen: bei Novartis zum Beispiel werden notwendige Lösungsmittel zu 96 Prozent mehrmals verwendet. Bei Sanofi konnten die CO2-Emissionen in nur fünf Jahren um 27 Prozent gedrückt werden.
Aber es gibt auch die andere Seite solch eigentlich schöner Bilanzen: die pharmazeutische Industrie ist weltweit für rund 300 Millionen Tonnen Plastik-Abfall pro Jahr verantwortlich und damit einer der Spitzenreiter unter allen Branchen. “Was der Verbraucher nicht direkt mitbekommt, sind die vielen steril verpackten Hilfsmittel wie Scheren oder Schläuche. Diese hygienische Sicherheit hat dann auch mal Auswirkungen bis zur Tertiärverpackung. Der Abfall fällt dann nicht beim Verbraucher an, sondern in den Praxen, Krankenhäusern oder bei Ärzten im Allgemeinen”, sagt pacoon-Geschäftsführer Peter Désilets.
Die vielen Funktionen der Pharma-Verpackung
Womit wir schnell bei der Verpackung angelangt wären. Und einem wichtigen Unterschied zu fast allen anderen Branchen, in denen Verpackungen benötigt werden: gerade bei Medikamenten sind Verpackung und Produkt eine beinahe unauflösliche Einheit. Und wie bei vielen Produkten, muss die Verpackung auch im Pharmasektor viele Funktionen erfüllen. Sie ist Schutz für das Produkt, sie hilft bei der richtigen Dosierung, sie ist auch wichtiger Träger der Gebrauchshinweise. Was sie jedenfalls bei rezeptpflichtigen Medikamenten weniger ist: Kaufanreiz. Denn wer ein Medikament vom Arzt oder von der Ärztin verschrieben bekommt, der wird dieses Medikament oder ein Generikum einnehmen, egal, wie die Verpackung auch aussehen mag. “Das unterscheidet das Verpackungsdesign von OTC-Produkten und freiverkäuflicher Ware - Over the Counter und auf und vor dem Counter, hier ist die Gestaltung der Packung und auch das Packungskonzept wesentlicher Kaufanreiz”, wie Peter Désilets aus vielen Designprojekten seiner Agentur pacoon weiß.
Zurück zum Reißbrett
All diese Faktoren tragen dazu bei, dass der Pfad zur nachhaltigen Verpackung gerade in der Pharma-Branche weniger breit ist als in anderen, weniger sensiblen Bereichen. Und doch mühen sich Hersteller von Medikamenten, etwa Alternativen zu bisherigen Materialien zu finden: Sie entwickeln neuartige Lösungen wie etwa Verpackungen auf pflanzlicher Basis aus Zuckerrohr oder Maisstärke. Als Alternative zum notwendigen, aber biologisch nicht abbaubaren oder recycelbaren PVC- oder PET-Blister kann etwa Green PE, ein Bio-Kunststoff auf Ethylen-Basis verwendet werden. Das senkt die CO2-Emissionen massiv. Und gleichzeitig ist Green PE genauso recyclingfähig wie fossile PE-Verpackungen.
Andere bemühen sich, Verpackungen noch umweltschonender zu gestalten, indem sie etwa notwendige Verbraucherinformationen so gut wie möglich auf die Packung drucken, statt noch mehr Platz auf Beipackzetteln aufwenden zu müssen. Auch QR-Codes bieten hier eine platz– und damit ressourcensparende Möglichkeit, Verbraucherhinweise ausführlich zu kommunizieren. Aber die Gesetzgebung lässt das häufig noch gar nicht zu, obwohl seit Corona vermutlich jeder den Umgang mit QR-Codes gelernt und verinnerlicht hat. Eine Information der Verbraucher wäre außerdem deutlich individueller möglich. Eines bleibt dabei immer oberste Priorität: die Patientensicherheit.
Das heißt aber auch: gerade in der Pharma-Branche bedingt eine Strategie hin zu nachhaltigeren Verpackungen auch die Rückkehr zum Reißbrett, weil jede Änderung der Verpackung in diesem Segment eben auch massive Auswirkungen auf das sensible Produkt und damit auch die Sicherheit für die Konsument:innen haben kann. Kosmetische Änderungen reichen da meist nicht, weil sie einen regulatorischen Konflikt heraufbeschwören könnten. So muss etwa auf Fälschungsschutz geachtet werden, ebenso oft auf Kindersicherheit oder Seniorenfreundlichkeit – und all das ist in vielen Paragraphen festgeschrieben.
Die Material-Entscheidung ist dabei begleitet durch legislative Hürden: neue Verpackungen im Pharma-Bereich durchlaufen Konformitätsprüfungen, die vom Einsatz der richtigen Druckfarben über die Verwendung des Klebstoffes bis zur Dampf – oder Sauerstoffzulässigkeit reichen. “Das Risiko, eine Verpackung umzustellen, beruht häufig darauf, dass über Jahre nachgewiesen werden muss, dass die Verpackung keine Beeinträchtigung nach sich zieht. Ist die Verpackung auch mit der Zulassung verknüpft, kann im schlimmsten Falle eine neue Verpackung dazu führen, dass jahrzehntelang zugelassene Arzneimittel auf einmal wieder auf dem Prüfstand stehen. Dieses Risiko will der Hersteller natürlich nicht eingehen. Darum benötigen Verpackungsentwicklungen im Pharmasektor auch so lange Vorlaufzeiten”, so Peter Désilets. Allerdings: Es gibt bereits Ansätze, die Kunststoffblister durch Papiere und Kartons mit Beschichtung zu ersetzen. Aber auch hier gilt: erstmal auf Nummer Sicher gehen und testen!
Testlauf für die neue Pharma-Verpackung
Jede neue Verpackung zu testen und damit letztlich auch Regulierungen gerecht zu werden, kostet natürlich auch Geld – und Tests unter Echtzeitbedingungen, also am Markt sind sowieso ausgeschlossen. Also müssen Technologien wie etwa 3D-Visualisierungen angewandt werden, um zumindest einige Funktionen einer neuen Verpackung simulieren zu können. Erst dann können die Druckmaschinen zum ersten Mal zu laufen beginnen.
Ein anderer Weg für Pharma-Unternehmen, sich nachhaltigeren Verpackungstechnologien anzunähern und dabei manch komplexer Herausforderung vorerst einmal zu entkommen, ist auch der OTC-Markt, also der Markt jener Medikamente, die rezeptfrei gekauft werden können; oder bei den freiverkäuflichen Produkten und Nahrungsergänzungsmitteln. Dort kann nämlich auch die Kundenreaktion analysiert werden. Dort spielt dann auch Design eine größere Rolle: „Während vor ein paar Jahren die Packungen eher altbacken waren, hat sich durch den Wandel hin zu mehr OTC-Produkten, freiverkäuflicher Ware und vielen Nahrungsergänzungsmitteln auch im Drogeriegeschäft das Design in vielen Bereichen deutlich gewandelt.“, so Pacoon-Geschäftsführer Peter Désilets.
Ja, es ist kompliziert mit der Nachhaltigkeit und den Verpackungen im Pharma-Bereich. Aber andererseits: gerade die Pharmaindustrie übernimmt traditionell eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung: durch Forschung und Innovation, durch ihre Bemühungen, unsere Gesellschaft insgesamt gesünder und angstfreier zu machen. Sie wird auch beim Thema Verpackungen diese Entwicklungsarbeit leisten müssen.