Nur zwei Prozent der Gesamtproduktionsmenge an Polymeren ist biobasiert. Was sind aus Deiner Sicht die größten Hürden für die Produktion eines alternativen Rohstoffsets für Verpackungen?
Es gibt mehrere Punkte, die die weitere Verbreitung derzeit noch einschränken: Man hat viele Ansätze, Bio-Reststoffe zu Barrieren, Materialien und Stoffen umzuwandeln, was auch großteils im Labor schon sehr gut funktioniert. Leider fehlt es dann aber an großen Raffinerien, die die entsprechenden Mengen bereitstellen können, damit diese dann verlässlich bestellt und verarbeitet werden können.
Darüber hinaus sprechen wir in der Regel von vielen kleinen Mengen, denen aber schnell auch die kritische Masse fehlt, um wirklich kostengünstig mithalten zu können. Die Bio-Branche argumentiert aber, dass häufig der Preis bei den Anwendern gar nicht der wichtigste Aspekt ist, sondern das nachhaltige Auftreten des Unternehmens.
Welche Argumente werden denn typischerweise gegen den Einsatz von Bio-Kunststoffen ins Treffen geführt?
Gern wird den Bio-Kunststoffen vorgehalten, sie müssten ihre Vorteilhaftigkeit erstmal beweisen. Das ist natürlich nur ein vorgeschobenes Argument – denn bei den wenigsten konventionellen, fossilen Kunststoffen kann die Nachhaltigkeit belegt werden. Immerhin arbeitet die Branche an flächendeckenden CO2-Berechnungen oder Ökobilanzen.
Auch gibt es das tragische Gegenargument „kein Food für Packaging“, das unter zwei Aspekten leider nicht zu Ende gedacht ist: Der Anteil an Agrarfläche, der für Bio-Kunststoffe verwendet wird, ist nicht mal ein Hundertstel der Fläche, die für Bio-Energie aufgewendet wird. Das Argument „kein Food für Energie“ ist aber erstaunlicherweise nicht präsent (in den jetzigen Energiekrisenzeiten ohnehin nicht). Zweitens ist der Anteil der Agrarfläche, die für weggeworfene Lebensmittel genutzt wird, allein in Deutschland so groß wie der weltweite Bedarf an Agrarfläche für Biokunststoffe. Und dann kommt noch hinzu, dass wir einen Wandel sehen von der Gewinnung von angebauten Pflanzen hin zu Pflanzenresten aus Agrarproduktion oder Produktionsresten.
Was würde denn nun wirklich für den Einsatz von Bio-Kunststoffen sprechen?
So einiges. Bio-Kunststoffe haben beispielsweise den Vorteil, dass man sie als Verpackung in den gängigen Sortierungen wieder einsammeln und dann über eine Verbrennung wieder Energie daraus gewinnen kann – das unterscheidet sie erstmal nicht von nicht-rezyklierbaren Multilayer-Verpackungen. Das nennt man Kaskadennutzung und wäre dann eine Mehrfachnutzung der eingesetzten Energie.
Manche Bio-Kunststoffe sind im Übrigen genauso recycelbar wie fossile Kunststoffe, z.B. Bio-PE, Bio-PP, Bio-PET, die den Großteil der hergestellten Verpackungsmengen aus Bio-Kunststoffen ausmachen. Diese „Drop-In“-Lösungen verhalten sich also 1:1 wie fossile Kunststoffe und könnten so auch zum Recycling beitragen. Das Problem ist nur, dass die Infrastruktur für Sortierung und Recycling in vielen Ländern nicht vorhanden ist.
Dort, wo „Drop-In“-Lösungen nicht sortiert werden können, könnten biologisch abbaubare Kunststoffe zumindest dafür sorgen, dass die Verpackungen nicht oder mit möglichst geringem Rest in der Natur verbleiben, wenn sie nicht sachgerecht entsorgt werden. Dies betrifft eine Vielzahl von Ländern weltweit, selbst in Europa.
Glaubst Du, Bio-Kunststoffe werden sich trotz der leichten Start-Turbulenzen durchsetzen?
Bio-Kunststoffe genauso wie andere biobasierte Materialien werden stark zulegen, weil inzwischen die Ressourcen vielfältiger sind, wir einen Trend sehen, weg von fossilen Ressourcen (Defossilierung) und wir auch in Mehrwegverpackungen viele Anwendungsmöglichkeiten sehen, wo Recycling, Sortierung und geringere Barrierefunktionen eine untergeordnete Rolle spielen.
Noch gibt es keine echten Standards, um die Nachhaltigkeit von Bio-Kunststoffen tatsächlich verbindlich beurteilen zu können. Welche Faktoren dürfen da auf keinen Fall fehlen?
Bio-Kunststoffe müssen natürlich als Erstes die Basisanforderungen an die Produktsicherheit gewährleisten. Das ist heute auch schon mit vielen Materialien erreichbar. Es stellt sich aber wieder die Grundfrage: sprechen wir von Drop-in-Lösungen wie Bio-PE oder Bio-PET – die identisch sind mit ihren fossilen Verwandten – oder von PLA, Stärke, Cellophan?
Dann müssen wir uns auch anschauen, woher die Ressourcen stammen, wie sie angebaut oder geerntet werden, welchen Einfluss sie auf die Landwirtschaft in der Region haben, wie die Transportwege zur Verarbeitung sind, wie sie verarbeitet werden.
Nehmen wir zum Beispiel Zuckerrohr. Früher wurde behauptet, dass Zuckerrohr den Regenwald zerstören würde. Das ist so aber nicht ganz korrekt, zumindest nicht direkt. Zuckerrohr wächst gar nicht unter den klimatischen Bedingungen des Regenwaldes, sondern eher in den Randzonen. Das Problem ist, dass Zuckerrohr dann schon mal den Sojaanbau verdrängt, der wiederum in tropischen Klima-Regionen wächst. Wenn eine Regierung – wie etwa in Brasilien – dieser Ausbreitung dann noch „den Segen“ gibt, dann trägt Zuckerrohr indirekt zur Abholzung des Regenwaldes bei.
Ähnlich verhält es sich mit Palmöl, das auch auf großen Plantagen in Monokulturen gewonnen wird und somit die Biodiversität in den Regionen verschlechtert und zur Zerstörung der natürlichen Vegetation und Fauna beiträgt. Daher werden Palmöle auch immer mehr aus Rezepturen entfernt oder eine zertifizierte Herkunft mit Kontrollmöglichkeiten bevorzugt.
Also würde sich schon vieles ändern, wenn auf die nachhaltige Gewinnung der Rohstoffe geachtet wird?
Ja, eigentlich müssten die Unternehmen zumindest mehr Wert auf nachhaltige Gewinnung legen, statt nur umzuschwenken, denn der nächste Interessent steht bestimmt schon Schlange.
Das ganze Konstrukt ist ziemlich verworren. Nehmen wir das Beispiel Bio-Kunststoffe in der Biotonne. Nur wenige, dünne, sich schnell abbauende Packungen, wie Folien, sind hier inzwischen von einigen Abfallentsorgern der Kommunen akzeptiert. Absurd: Bio-Kunststoffe, die sich nicht schnell genug abbauen, werden bestmöglich raus sortiert und verbrannt. Für die Verbrennung gibt es sogar noch einen CO2-Bonus wegen der Energiegewinnung.
Es gibt ja viele Anwendungen für Verpackungen – vom Versand bis zur Lebensmittelverpackung. Wo siehst Du das größte Einsatzpotenzial von Bio-Kunststoffen?
Bio-Kunststoffe haben langfristig einen klaren Vorteil, wenn wir es schaffen wollen, uns von fossilen, nicht-regenerativen Ressourcen zu trennen. „Defossilierung“ ist hier das Schlagwort, das aktuell die Runde macht. Das können sowohl Packungen wie Folien oder Rigids (Schalen, Flaschen, Tuben o.ä.) sein, als auch Barrieren auf Papieren (Alginaten zum Beispiel), die immer stärker auch biobasiert sind. Diese Ressourcen können sogar aus dem Meer gewonnen werden, beispielsweise Seegras oder Algen. Es gibt aber auch schon erste Zuchtanlagen an Land, die gezielt diese Algen züchten, um sie dann weiterzuverarbeiten. Ein spannendes Konzept, weil ich dann auch die Zucht dorthin bauen könnte, wo ich sie weiterverarbeite und den Prozess so besser unter Kontrolle habe und Transport spare.
Du hattest erwähnt, dass die Bio-Branche argumentiert, dass der Preis bei den Anwendern gar nicht der wichtigste Aspekt ist. Stimmst Du dieser Aussage zu?
Bio-Kunststoffe sind natürlich deutlich teurer als ihre fossilen Verwandten. Das liegt zum einen am billigen Rohstoff Öl, aber auch an den noch überschaubaren Produktionsmengen. Trotzdem hören auch wir immer wieder, dass die Interessenten an Bio-Kunststoffen oder die Inverkehrbringer gar nicht den Preis als wichtigstes Kriterium sehen. Da ist auch viel Emotion mit im Spiel.
Wir sehen heute schon und auch in Zukunft viel Potenzial bei Mehrweg-/Reuse-Verpackungen und hierbei spielt der Materialwert nicht die wichtigste Rolle. Hier addieren sich nämlich noch die Kosten für die Rückführung und Reinigung bei jedem Umlauf dazu. Das Material zahle ich meist nur beim ersten Mal und je mehr Umläufe es gibt, desto mehr relativieren sich die Materialkosten.
Außerdem besitzen die Reuse-Verpackungen in Zukunft die Möglichkeit auf digitales Tracking und Erkennung. Damit kann ich gleiche Packungen aus einheitlichen Bio-Kunststoffen sammeln und gezielt recyceln. Einige Hersteller bieten das sogar schon heute an, um den Nachteil von Einweg-Biokunststoff-Verpackungen zu umgehen, da diese in der Sortierung nicht relevant sind und nicht getrennt sortiert und recycelt werden.
Wenn nun ein Unternehmen entscheidet, auf solche Materialien umzusteigen: Welche Überlegung sollte am Beginn eines solchen Entscheidungsprozesses stehen?
Da spielen auch wieder viele Faktoren eine Rolle – nehmen wir mal das Beispiel einer Einwegverpackung: In welchem Land wird das Produkt vertrieben, gibt es dort einen Sammel – und Sortierstrom für Kunststoffe oder (bio-)beschichtete Papiere? Falls ja, empfehlen wir die Konzentration auf existierende Infrastrukturen, um die Ressourcen zurückzugewinnen und wertstofflich zu recyceln. Falls es keine Infrastruktur gibt, kann eine biologisch abbaubare oder kompostierbare Verpackung im üblichen Sinne eine gute Alternative sein, z.B. wenn Verpackungen häufig achtlos weggeworfen werden. Das ist leider immer noch in vielen Ländern der Fall. Hier sollte dann das Ziel sein, dass die Verpackung möglichst wenig in der Natur verbleibt. Dabei gibt es zu beachten, dass sich eine Verpackung nicht überall gleich abbaut – im Salzwasser, Süßwasser, auf trockenem Land oder in kalten, nassen Landschaften; der Prozess und die Dauer verläuft überall anders.
Ich nehme an, es gibt auch gesetzliche Rahmenbedingungen, die beachtet werden müssen, wenn man Bio-Kunststoffe einsetzen möchte?
Das ist richtig! In immer mehr Ländern gibt es inzwischen Rahmenbedingungen, die zu beachten sind. In Europa müssen beispielsweise auf bestimmten Serviceverpackungen im To-Go-Bereich Hinweise auf Mikroplastik auf der Verpackung angebracht werden - auch bei chemisch veränderten Bio-Kunststoffen. Es gibt also vieles zu beachten und darum schauen wir von PACOON uns die Gesetzgebungen und Lizensierungs-Bedingungen in Europa, USA, Kanada und einigen anderen Ländern an und bieten diese Informationen auch Interessierten an.
Angenommen, ich möchte nun in meinem Unternehmen nach und nach auf die Nutzung von Bio-Kunststoffen umsteigen, wie könnt Ihr uns dabei helfen?
Natürlich, häufig erleben wir aber auch, dass der Wunsch nach bestimmten Materialien größer ist als deren Verfügbarkeit. Insbesondere Start-ups haben Ihre Wünsche, die wir hier und da auch mal enttäuschen müssen. Bei Standardgrößen und -verpackungen geht das schon eher, auf die nötigen Mengen zu kommen. Daher sollten Unternehmen versuchen, Packungsgrößen und -mengen zu bündeln.
Wie bei anderen Verpackungen auch gibt es nicht die 100%-Lösung in Bezug auf nachhaltige Verpackungen. An irgendeinem Zeitpunkt ist immer eine Entscheidung gefragt, wo das Unternehmen sich für einen Kompromiss entscheiden muss, mit dem es sich wohler fühlt. Optimalerweise gibt es schon die übergeordneten Unternehmensziele, an denen man sich orientieren kann. Das empfehlen und erarbeiten wir mit Unternehmen, damit der rote Faden für alle weiteren Entscheidungen feststeht. Dazu haben wir ein eigenes Workshop-Format als Unterstützung entwickelt.